So, mir reicht es jetzt. Ich weiß, ich habe viele deutsche LeserInnen, dieser Eintrag wendet sich jetzt aber vor allem an meine heimischen MitbürgerInnen. Ich habe zuerst überlegt, einfach nur einen diesbezüglichen Facebookpost abzusondern (wie so ziemlich jeder in meiner Timeline gerade), aber hier lesen es mehr Menschen. Und es geht absolut nicht um Fetzen, ums Bloggen oder Stricken. Es geht um was sehr, sehr Ernstes – es ist meine persönliche Meinung und ich hoffe auf intensiven Diskurs mit euch.
Heute war ein sehr seltsamer Tag, getragen von so ziemlich allen Emotionen, die ich im Spektrum hab – und das sind viele. Es begann mit einem guten, glücklichen Gefühl, ein Wohlgefühl über mein Zuhause, mein Nest, meine Sicherheit, meine wunderbaren Nachbarn, Dankbarkeit, dass es mir so gut geht. Es ging weiter mit einer Zugfahrt nach Traiskirchen. Die Fahrt selbst dank einer unfassbar lustigen Unterhaltung mit einem Grazer, der indirekt meinetwegen heute im Büro hocken musste, nicht so bitter wie sonst (die Badner Bahn ist die deprimierendste Zuglinie, die ich kenne. Besonders, wenn sie in Vösendorf alle mit ihren zig Primarksackerln einsteigen). Die Ankunft in Traiskirchen dann wieder sehr bedrückend. Diese Stadt ist eine Geisterstadt, bezogen auf TraiskirchnerInnen. Eine meiner besten Freundinnen wohnt seit einiger Zeit dort, nicht weit vom Bahnhof. Am Weg vom Bahnhof zu ihr begegneten mir sehr viele junge Asylwerber, Flüchtlinge, Migranten (ich hab sie jetzt nicht persönlich nach ihrem aktuellen “Status” gefragt), und eine einzige junge Frau, die nicht nach migrantischem Hintergrund aussah. Die war dafür die Einzige, wegen der ich kurz versucht war, Straßenseite zu wechseln, sie strahlte sehr viel Aggression und Negativität aus. Kurz danach eine vierköpfige Familie mit wohl afrikanischem Hintergrund. Ich lächelte die Frau an – sie schaute verschreckt weg. Überall sind Gartentore geschlossen, Rolläden in den untersten Stockwerken runtergelassen, die BürgerInnen scheinen sich zu verstecken.
Die Freundin besuchte ich, um ihr Neugeborenes kennenzulernen, ein unglaublich süßer, kleiner, hübscher Knopf – und ein absolutes Wunschkind. In dem Haushalt wabert das Glück gerade nur so durch die Zimmer. Echt schön. Wir kamen kurz auf das Thema Flüchtlingslager zu sprechen (wo viele Kinder sind, die allesamt sicherlich auch Wunschkinder waren), und sie erzählte: Die Polizei patroulliert hier zu zwölft. Sie selbst sagte völlig richtig: “Ich hab keine Angst. Von denen tut mir niemand was. Die leisten sich nichts, da steht viel zu viel auf dem Spiel für sie.” Und exakt aus diesem Grund könnte Traiskirchen ein Ort der Begegnung sein. Stattdessen fühlt man fast schon körperlich Ausgrenzung und Angst, und zwar von “beiden” Seiten, besonders bei der Bahnstation(Anm: vielleicht auch nur bei der Bahnstation, die habe ich erlebt). Eine Stimmung, die derzeit durch die Asyldiskussion auch medial und politisch herrscht: Bedrückung, Angst, Bammel, scheiße, das geht nicht gut aus.
Knapp zwei Stunden später fuhr ich zurück. Ich saß in der Bahn und las von dem schrecklichen Unglück in Graz. Sofort schickte ich dem Grazer, wegen dem ich noch wenige Stunden vorher so gelacht hatte, dass mich die Mitfahrenden wohl für debil gehalten haben – Lachtränen, während sie am Handy herumtippt – eine Nachricht. Er meinte: “Irgendwie hast du mich gerettet, Nunu. Würd ich jetzt nicht im Büro hocken, wär ich in der Herrengasse gewesen. Mit Musik in den Ohren herumbummelnd.” Ist zwar recht weit hergeholt, selbst wenn ich wirklich schuld bin an seinem Büroaufenthalt, aber es liefen mir kalte Schauer den Rücken runter. Was wäre gewesen, wenn dieser lustige Kerl einfach zwei Stunden nach unserem Gespräch tot gewesen wäre? Kurz schüttelte mich die Angst.
Auf Facebook ging unterdessen der Skandal los. H.C. Strache, dieses politmachtgeile, miese, populistische ….. *selbstweiterdenkenbitte*, war sich nicht zu blöde, diese unglaublich traurige Tat, die aus der Psychose eines Einzeltäters entsprang, der mit sechs Jahren aus Bosnien nach Österreich gekommen war, als Angstmache gegen Ausländer zu instrumentalisieren (und sich danach auch noch auf die objektive Berichterstattung der Kronenzeitung zu beziehen – ach Heinzilein, du selbst bist einer der größten Instrumentalisierer der Kronenzeitung, meinst net, dass “Objektivität” in dem Zusammenhang in etwa so sehr passt wie mir Schuhgröße 32?). Kleines Detail am Rande: Als damals in Bosnien Krieg war, haben wir sehr viele Flüchtlinge aufgenommen, und als kürzlich in der ORF-Sendung “Im Zentrum” Klaus Schwertner von der Caritas den anwesenden FPÖ-Kotzbrocken drauf ansprach, erklärte der, dass sei ja ganz was anderes gewesen, weil das sei ja Nachbarschaftshilfe gewesen. Aha. Daran erinnerte Strache sich bei seinem heutigen Posting wohl nicht mehr. Ich war wie wohl viele andere rasend und stinksauer. Viele meinen, dass er sich damit ein fulminantes Eigentor geschossen hat. Ich glaube das nicht – denn die, die gerade so auf ihn stehen, weil ihnen die ganzen fremden Gestalten so unheimlich sind, dass man sie bitte gleich mal aussperrt und ablehnt, bevor man sich auch nur ansatzweise mit ihnen beschäftigt, die finden diesen Bodensatz der öffentlichen Meinungsmache auch noch toll. Endlich einer, der ihre Sprache spricht. Ist sogar sein Werbeslogan. Diese Ablehnung von oben herab gegen ihn bringt nichts – und auch die komplette Leugnung, dass migrantentechnisch nicht alles rosarot ist. Ja, es ist eine Tatsache, dass der Anteil der Migranten in der Kriminalstatistik massiv angestiegen ist – aber es bringt niemandem etwas, daraus allen in Österreich lebenden MigrantInnen einen Strick zu ziehen, und genausowenig bringt es etwas, davor die Augen zuzumachen. Denn zweiteres lässt für Strache und Co. wunderbar Raum, die Heimat-ohne-Ausländer-Orgel zu leiern.
Zuhause angekommen, traf ich zufällig auf meinen Nachbarn, der nur selten in Wien ist. Wir umarmten uns, sprachen über die gute Stimmung im Haus und dass wir doch mal endlich ein monatlich wiederkehrendes Hoffest für die Bewohner machen sollten (wobei, davon reden wir seit sieben Jahren…). Es geht uns einfach fantastisch gut, wir alle im Haus wissen um dieses Glück, dass wir bereits bei der Haustüre und nicht erst bei der Wohnungstüre so richtig zuhause sind. Es geht uns so verdammt beschissen gut. Unpackbar.
Ich war nur kurz zuhause, fuhr weiter zu einer Freundin. Kaum dort angekommen, schickte mir meine Schwägerin Fotos von meinem sehr frisch geschlüpften Neffen, noch so ein süßer, kleiner, hübscher Knopf – und ein absolutes Wunschkind, ich hatte Freudentränen in den Augen. Zwei kleine Erdenbürger, die sehr willkommen sind hier. Über deren Ankunft ich mich unglaublich freue, und nicht nur ich.
Doch eines macht mir Angst: Seit diese kleinen Knöpfe auf dieser Welt sind, also wenige Tage, hat in der Steiermark die ÖVP House of Cards gespielt, hat im Burgenland Niessl (SPÖ) das zuvor Undenkbare getan und mit der FPÖ koaliert, hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) einen Asylstopp verhängt, hat Dagmar Belakowisch-Jenewein (FPÖ) erklärt, man solle Flüchtlinge in Hercules-Maschinen abschieben, “denn dann könnten sie da drinnen schreien, so laut sie wollen”, hat Strache (FPÖ) eine menschliche Tragödie, die komplett, aber wirklich völlig “herkunfts”unabhängig ist, für seinen Ausländerhass instrumentalisiert, und müssen in einer Anlage, die im gleichen Ort wie meine Freundin ist (und somit für mich emotional näher als ein Zeitungsbericht), 700 Jugendliche am Boden schlafen, es gibt nicht mal Betten für sie, so hoffnungslos überbelegt ist es dort. Und hab ich mich zurückgezogen in das Glück meiner vier Wände, fühle mich wahnsinnig wohl, wenn ich die Welt aussperren und mein persönliches Biedermeier ausleben kann. Ich kenne diese Tendenz von mir. Wenn ich dieses “Welt, bleib draußen”-Gefühl habe, dann bin ich überfordert, dann wird mir das, was da draußen abgeht, zuviel. Dann mach ich zu, so wie die Traiskirchner quasi – ich kann sie also sogar verstehen. Kann es sein, dass viele in sich drin den Unterschied zwischen Überforderung und Ablehnung nicht erkennen?
Andauernd lese und höre ich von meinen Freunden: Es reicht. Es geht so nicht weiter. Wir können so nicht mehr weitertun. Wir können nicht mehr zuschauen. Es muss was passieren. Mein nicht zwingend als Anarchist einzuordnender Bruder meint inzwischen seit Jahren: “Langsam wirds Zeit, in Heugabeln zu investieren, um sie alle damit aus dem Land zu vertreiben, die gesamte politische Machtelite.” Mein inzwischen 99-jähriger Opa sagte vor einiger Zeit: “Diese Stimmung im Land, die ist nicht gut. Die hatten wir schon mal. Das ist sehr bedenklich, da braut sich was zusammen. Das ist gar nicht gut.” Denke ich an meine eigene Kindheit zurück, erscheint mir das alles, was damals innenpolitisch abging, als harmlos gegen die aktuelle Situation. Das Vice Magazin schreibt: “Wir wollen nicht in einem Land leben, wo die FPÖ täglich ohne Rücksicht auf Verluste daran arbeitet, einen Graben zwischen Menschen zu ziehen: Die braven Inländer auf der einen Seite und die nichtsnutzigen Schmarotzer mit ihrer fremden Religion auf der anderen. Ab jetzt werden wir alles dafür tun, diese Graben zuzuschütten. Wir müssen aus unserer Blase raus und aufhören uns gegenseitig für unsere richtige Meinung auf die Schultern zu klopfen. Es reicht nicht mehr, über Rechtschreibfehler zu lachen oder sich ein bisschen zu gruseln. Wir müssen die Herausforderung annehmen und dort aufklären, wo wir bis jetzt überheblich weggeschaut haben.”
Aber ich frag mich wirklich: Im Internet seine Meinung absondern, so wie ich es gerade tue, bei anderen, die sich über Strache und Co. aufregen, brav auf Like drücken – das ist es nicht, das reicht nicht, auch so kann das nicht weitergehen! Es muss etwas geschehen. Und zwar unaggressiv, aber aussagekräftig. Der Gedanke, Mikl-Leitner, Strache, Jenewein und dem sie umgebenden Gesocks einen Abenteuerurlaub in Syrien zu bezahlen – wir fliegen sie hin, sie dürfen die Flüchtlingsroute per Schiff und Schlepper zurück nehmen – ist schon verführerisch, aber viel zu aggressiv. Damit ist es nicht getan, es ist der falsche Weg. Uns allen, die wir die FPÖ für unwählbar halten, ist anscheinend seit Jahren klar, dass es so nicht weitergehen kann. Wir alle sehen es. Und wir reden drüber.
Aber mehr tun wir nicht. Ok, manche, sehr wenige, nehmen Flüchtlinge bei sich auf. Das ist ein sehr großer Schritt, sein persönliches “Reich” teilen – aber es ist ein miniwunzikleines Pflaster auf einer riesigen, eitrigen Wunde. Ein guter kleiner Schritt, aber nicht die Lösung. Und ganz ehrlich: Ich weiß nicht, was wir tun können. Ich weiß grad nicht mehr weiter. Ich will in keine Richtung denken, die einher geht mit Gewalt, mit Unterdrückung, mit Aggressivität, egal von welcher Seite. Aber was bleibt? Was kann man wirklich effektiv tun? Ich fühl mich gerade wahnsinnig hilflos, in diesem Land, dem es gut geht wie einer kleinen Made im Speck. Ich wünsch mir nur wirklich sehr, dass diese beiden kleinen, süßen, hübschen Knöpfe nicht in dieser Stimmung aufwachsen müssen.
Nachtrag: Eines ist mir sehr wichtig festzustellen – und ich danke der sehr kritischen Kommentatorin aus Traiskirchen für diesen Kommentar bei mir auf der Facebookseite: Nein, ich stelle nicht ganz Traiskirchen dar, ich stelle nicht die allgemeine Meinung und Stimmung von Traiskirchen dar, ich gebe auch nicht die komplette Meinung meiner Freundin wieder, ich sage überhaupt nichts über ihre Einstellung aus (das würde ich mir niemals rausnehmen), sondern: Ich gebe MEINE Eindrücke wieder, die Dinge, die bei mir hängen geblieben sind, sehr subjektiv. Ich will damit keiner/m einzigen TraiskirchnerIn schaden oder etwas unterstellen, das ist absolut nicht in meinem Sinne. Ja, es ist nur ein kurzer Weg durch den Ort, den ich gestern getan habe, und er sagt wohl nicht viel aus – dennoch hat mich die vorherrschende Stimmung sehr beeindruckt und beeinflusst – und wie ich auch schreibe, die Überforderung ist auch für mich absolut nachvollziehbar. Ich betone dennoch noch einmal: Das ist eine sehr subjektive Sicht der Dinge, die in mir mein subjektives Gefühl ausgelöst hat. Nur dieses Gefühl hat mich bis jetzt nicht losgelassen….
Nunu Kaller schrieb u.a. das Buch "Ich kauf nix! Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde", das 2013 im Verlag Kiepenheuer&Witsch erschienen ist: http://www.kiwi-verlag.de/buch/ich-kauf-nix/978-3-462-30746-7/
Der Originaltext dieses Artikels erschien im Blog der Autorin: https://ichkaufnix.wordpress.com/2015/06/20/strache-graz-und-traiskirchen-ich-weis-nicht-mehr-weiter/