Montag, 28. März 2016
"Das kannst Du dir nicht vorstellen" - M. ist sichtlich aufgebracht, als er mir im Auto erzählt, was sich letztes Wochenende zugetragen hat. Ich kenne M. lang genug, um zu wissen, ob es berufsverkehrsindizierter Smalltalk wird oder ob ihn der Vorfall wirklich berührt hat. Und ich vermag zu urteilen, dass letzteres der Fall war. Ich verkneife mir einen Kommentar ob der ungerechtfertigten Schmälerung meines Imaginationsvermögens und frage neugierig nach, was ich mir nicht vorstellen könne.
(Bildrechte - http://www.vogeltanz.at/ - mit freundlicher Genehmigung von Jörg Vogeltanz)
M. hatte Besuch aus Guatemala - J. war beruflich in Europa unterwegs und hat M. im Zuge eines Wienaufenthalts kurz "Hallo" sagen wollen. Und wenn man schon in Wien verweilt, was wäre dann traditioneller und positiv klischeehafter als der Besuch eines Altwiener Kaffeehauses? Also trafen sich M. und J. im Kaffeehaus. Soweit noch nichts, was ich mir nicht vorstellen könnte.
Da saßen also M. und J. in der Kaffeesiederstube, unterhielten sich und konsumierten Kaffee und Kuchen, als ihr Gespräch durch eben jenen Satz unterbrochen wurde - "Ich habe Sie nicht eingeladen!". Weder M. noch J. fühlten sich angesprochen und blickten erst beim zweiten, lauteren "Ich habe..." in Richtung der Stimme.
Es stand eine alte Frau vor ihrem Tisch, schön herausgeputzt. Optisch eine Oma, mit der man gerne am Sonntag Nachmittag auf ein Sachertorterl und eine Melange gehen möchte. Das silbergraue Haar war adrett frisiert, die schweren Goldketten fein säuberlich geschlichtet, eine Brosche auf dem Feiertagskostüm. Und eben jene Vorzeigegroßmutter stand da vor ihnen, den knochigen Finger Richtung J. gewandt. M. vermutete eine Verwechslung, aber die alte Frau setzte noch nach. Sie hätte keinen von den Terroristen eingeladen, die unser Sozialsystem belasten. Sie hätte nicht ihren Vater im Krieg verloren, nur damit wir heute von Invasoren überrannt würden. Er (also J.) sollte sich schleichen, denn sie hätte ihn nicht eingeladen.
(Cafe Central - Bildrechte: Heimat ohne Hass)
Hier unterbricht M. seine Geschichte und blickt in meine Richtung, offenbar auf eine Reaktion wartend. Bevor ich irgendwie kommentieren kann, bricht es aus M. heraus. "Ich mein, was bilden sich die Leut' ein? Die war nicht verwirrt, die war einfach..." M. fehlen die Worte.
M. ist knappe 40, berufstätig, keine Kinder. Er war noch nie auf einer Demo, verfolgt Politik auf der Ebene der Tagesmedien, die Identitären sind für ihn ein Haufen Spinner, die aktionistisch Gräueltaten nachspielen oder leere Autobahnabschnitte besetzen, und den Anstieg der Wähler rechtspopulistischer Parteien sieht er als "ungutes Zeichen". M. entspricht in etwa dem, was man die gutbürgerliche Mitte nennen könnte. Aber Rassismus und Hass haben diese Mitte durchsetzt und nun stand eben ein Mitglied der hassdurchsetzten, bürgerlichen Mitte vor ihm und griff ihn und seinen Gast unreflektiert und maßlos verbal an, nur weil J. eine dünklere Hauttönung hatte als ein Mitteleuropäer. Oder war es die Unterhaltung auf Englisch, die vom gealterten Silberfuchs abgehört und als Feindkommunikation erkannt worden war?
Ich schaue M. an und warte auf sein Resümee, wie er nun diese Frau wahrgenommen habe. Er findet aber noch immer nicht die passenden Worte. Ich helfe ihm und beendete seinen Satz "die war voller Hass gegen jemanden, den sie weder kannte noch irgendwas über ihn wusste." M. kann mit diesem Abschluss leben - hasserfüllt, das war das passende Wort.
"Wie gibt's sowas? Die pflaumt uns an, ohne uns zu kennen? So deppert kann man doch gar nicht sein!" M. empört sich über diese Wurbürgerin, wie sie von den Rechtspopulisten unterstützt wird. In mir keimt ein wenig Hoffnung auf, als es aus ihm herausbricht "und die Rechten steigen genau auf so einen Blödsinn ein? Einfach draufhauen? Wenn die Alte schon so einen Blödsinn macht, was macht dann ein Jüngerer in so einer Situation? Haut der uns eine rein? Und dann hört man von Clausnitz und das wird von der Politik toleriert?"
Die Wutbürger haben es offenbar mittlerweile so bunt .. nein, braun getrieben, dass Nicht-Wutbürger der Mitte Stellung gegen sie beziehen. M. wird auch in Zukunft nicht auf Demos gehen, aber ich bin davon überzeugt, dass er in Zukunft bewusster die Tagesmedien konsumieren, Clausnitz nicht nur als "unschöne Meldung am Rande" wahrnehmen und der rechtspopulistischen Propaganda entgegentreten werde - da es einfach zu viele Menschen gibt, die darauf reinfallen und bestenfalls Gäste eines Kaffeehauses anpöbeln, weil sie sich ja doch irgendwie von den Fremden bedroht und mit ihrem Angriff im Recht fühlen.
(Demo #M19- Bildrechte: Peter Heinz Trykar)
M. schüttelt den Kopf, in Gedanken versunken. Ich frage ihn, wie die Situation geendet habe. M. meint, er habe sie ignoriert, aber als sie weiterwetterte, habe er ihr laut entgegnet "Nein, er hat mich eingeladen!", woraufhin die Frau keifend weitergezogen sei.
Ich will ihn (noch) nicht mit unserer Außenpolitik konfrontieren, denn dieses "ich habe Sie nicht eingeladen" hätte auch von der Innenministerin kommen können. M. wird den Vorfall bald vergessen haben, aber die Ablehnung gegen das rechtspopulsitische Gedankengut hat sich tiefer verwurzelt.
Wir fuhren weiter, im Radio spielt es "Gute Menschen" von OK Kid. Ein angemessener Titel, wie mir scheint, um dieses Gespräch zu beenden.
Ich habe Sie nicht eingeladen! - Gastkommentar
"Das kannst Du dir nicht vorstellen" - M. ist sichtlich aufgebracht, als er mir im Auto erzählt, was sich letztes Wochenende zugetragen hat. Ich kenne M. lang genug, um zu wissen, ob es berufsverkehrsindizierter Smalltalk wird oder ob ihn der Vorfall wirklich berührt hat. Und ich vermag zu urteilen, dass letzteres der Fall war. Ich verkneife mir einen Kommentar ob der ungerechtfertigten Schmälerung meines Imaginationsvermögens und frage neugierig nach, was ich mir nicht vorstellen könne.
(Bildrechte - http://www.vogeltanz.at/ - mit freundlicher Genehmigung von Jörg Vogeltanz)
M. hatte Besuch aus Guatemala - J. war beruflich in Europa unterwegs und hat M. im Zuge eines Wienaufenthalts kurz "Hallo" sagen wollen. Und wenn man schon in Wien verweilt, was wäre dann traditioneller und positiv klischeehafter als der Besuch eines Altwiener Kaffeehauses? Also trafen sich M. und J. im Kaffeehaus. Soweit noch nichts, was ich mir nicht vorstellen könnte.
Da saßen also M. und J. in der Kaffeesiederstube, unterhielten sich und konsumierten Kaffee und Kuchen, als ihr Gespräch durch eben jenen Satz unterbrochen wurde - "Ich habe Sie nicht eingeladen!". Weder M. noch J. fühlten sich angesprochen und blickten erst beim zweiten, lauteren "Ich habe..." in Richtung der Stimme.
Es stand eine alte Frau vor ihrem Tisch, schön herausgeputzt. Optisch eine Oma, mit der man gerne am Sonntag Nachmittag auf ein Sachertorterl und eine Melange gehen möchte. Das silbergraue Haar war adrett frisiert, die schweren Goldketten fein säuberlich geschlichtet, eine Brosche auf dem Feiertagskostüm. Und eben jene Vorzeigegroßmutter stand da vor ihnen, den knochigen Finger Richtung J. gewandt. M. vermutete eine Verwechslung, aber die alte Frau setzte noch nach. Sie hätte keinen von den Terroristen eingeladen, die unser Sozialsystem belasten. Sie hätte nicht ihren Vater im Krieg verloren, nur damit wir heute von Invasoren überrannt würden. Er (also J.) sollte sich schleichen, denn sie hätte ihn nicht eingeladen.
(Cafe Central - Bildrechte: Heimat ohne Hass)
Hier unterbricht M. seine Geschichte und blickt in meine Richtung, offenbar auf eine Reaktion wartend. Bevor ich irgendwie kommentieren kann, bricht es aus M. heraus. "Ich mein, was bilden sich die Leut' ein? Die war nicht verwirrt, die war einfach..." M. fehlen die Worte.
M. ist knappe 40, berufstätig, keine Kinder. Er war noch nie auf einer Demo, verfolgt Politik auf der Ebene der Tagesmedien, die Identitären sind für ihn ein Haufen Spinner, die aktionistisch Gräueltaten nachspielen oder leere Autobahnabschnitte besetzen, und den Anstieg der Wähler rechtspopulistischer Parteien sieht er als "ungutes Zeichen". M. entspricht in etwa dem, was man die gutbürgerliche Mitte nennen könnte. Aber Rassismus und Hass haben diese Mitte durchsetzt und nun stand eben ein Mitglied der hassdurchsetzten, bürgerlichen Mitte vor ihm und griff ihn und seinen Gast unreflektiert und maßlos verbal an, nur weil J. eine dünklere Hauttönung hatte als ein Mitteleuropäer. Oder war es die Unterhaltung auf Englisch, die vom gealterten Silberfuchs abgehört und als Feindkommunikation erkannt worden war?
Ich schaue M. an und warte auf sein Resümee, wie er nun diese Frau wahrgenommen habe. Er findet aber noch immer nicht die passenden Worte. Ich helfe ihm und beendete seinen Satz "die war voller Hass gegen jemanden, den sie weder kannte noch irgendwas über ihn wusste." M. kann mit diesem Abschluss leben - hasserfüllt, das war das passende Wort.
"Wie gibt's sowas? Die pflaumt uns an, ohne uns zu kennen? So deppert kann man doch gar nicht sein!" M. empört sich über diese Wurbürgerin, wie sie von den Rechtspopulisten unterstützt wird. In mir keimt ein wenig Hoffnung auf, als es aus ihm herausbricht "und die Rechten steigen genau auf so einen Blödsinn ein? Einfach draufhauen? Wenn die Alte schon so einen Blödsinn macht, was macht dann ein Jüngerer in so einer Situation? Haut der uns eine rein? Und dann hört man von Clausnitz und das wird von der Politik toleriert?"
Die Wutbürger haben es offenbar mittlerweile so bunt .. nein, braun getrieben, dass Nicht-Wutbürger der Mitte Stellung gegen sie beziehen. M. wird auch in Zukunft nicht auf Demos gehen, aber ich bin davon überzeugt, dass er in Zukunft bewusster die Tagesmedien konsumieren, Clausnitz nicht nur als "unschöne Meldung am Rande" wahrnehmen und der rechtspopulistischen Propaganda entgegentreten werde - da es einfach zu viele Menschen gibt, die darauf reinfallen und bestenfalls Gäste eines Kaffeehauses anpöbeln, weil sie sich ja doch irgendwie von den Fremden bedroht und mit ihrem Angriff im Recht fühlen.
(Demo #M19- Bildrechte: Peter Heinz Trykar)
M. schüttelt den Kopf, in Gedanken versunken. Ich frage ihn, wie die Situation geendet habe. M. meint, er habe sie ignoriert, aber als sie weiterwetterte, habe er ihr laut entgegnet "Nein, er hat mich eingeladen!", woraufhin die Frau keifend weitergezogen sei.
Ich will ihn (noch) nicht mit unserer Außenpolitik konfrontieren, denn dieses "ich habe Sie nicht eingeladen" hätte auch von der Innenministerin kommen können. M. wird den Vorfall bald vergessen haben, aber die Ablehnung gegen das rechtspopulsitische Gedankengut hat sich tiefer verwurzelt.
Wir fuhren weiter, im Radio spielt es "Gute Menschen" von OK Kid. Ein angemessener Titel, wie mir scheint, um dieses Gespräch zu beenden.
Sonntag, 27. März 2016
Nun sind alle drei Attentäter identifiziert. Sie wurden in Belgien geboren und alle drei waren EUBürger. Selbst vor Inkrafttreten der Schengen-Regelung wäre es ihnen möglich gewesen, ohne Schwierigkeiten von einem ins nächste europäische Land zu reisen, um ihre blutige Spur des Grauens zu hinterlassen.
Einige Damen und Herren sonderten reflexartig sofort ihre fremdenfeindlichen, menschenverachtenden und hasserfüllten Sprüche ab, noch während die Opfer - zerrissen von Nagelbomben, vor Schmerz wimmernd - elend verbluteten, um daraus möglichst schnell billiges politisches Kapital zu schlagen und ihre blinden Anhänger noch mehr aufzuhetzen.
Diese rechten Populisten sind wahrlich um keinen Deut besser als die Hassprediger in irgendwelchen Moscheen, auf Bergen oder in Höhlen. Die unschuldigen Opfer von Brüssel und Paris hätten auch durch 8 Meter hohe Stacheldrahtzäune oder neue Grenzen nicht gerettet werden können und Flüchtlinge hatten mit den beiden Anschlägen nichts zu tun. Im Gegenteil, gerade sie flüchten vor dem Terror in ihrer Heimat.
(photo:Peter Heinz Trykar)
Unser tiefstes Beileid gilt all den Unschuldigen und deren Angehörigen, die der pervertierten Weltanschauungen einiger weniger wahnsinnigen Mörder zum Opfer fielen. Deren verzweifelter Versuch, ein Miteinander aller Menschen, egal, welchen imaginären Göttern oder Götzen sie nun nachlaufen wollen, zu unterbinden, muss gestoppt werden.
Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um die Wurzel dieses Übels auszumerzen: Die Angst vor und den Hass aufeinander. Wir lassen uns nicht von ein paar Wahnsinnigen, von welcher Seite auch immer, gegeneinander aufhetzen.
Die überragende Mehrheit von uns, egal, welcher Konfession wir angehören, egal, welche Hautfarbe wir haben, kann und will in Frieden mit- und füreinander leben.
"Bergpredigt" - Gastkommentar von Peter-Heinz Trykar
Nun sind alle drei Attentäter identifiziert. Sie wurden in Belgien geboren und alle drei waren EUBürger. Selbst vor Inkrafttreten der Schengen-Regelung wäre es ihnen möglich gewesen, ohne Schwierigkeiten von einem ins nächste europäische Land zu reisen, um ihre blutige Spur des Grauens zu hinterlassen.
Einige Damen und Herren sonderten reflexartig sofort ihre fremdenfeindlichen, menschenverachtenden und hasserfüllten Sprüche ab, noch während die Opfer - zerrissen von Nagelbomben, vor Schmerz wimmernd - elend verbluteten, um daraus möglichst schnell billiges politisches Kapital zu schlagen und ihre blinden Anhänger noch mehr aufzuhetzen.
Diese rechten Populisten sind wahrlich um keinen Deut besser als die Hassprediger in irgendwelchen Moscheen, auf Bergen oder in Höhlen. Die unschuldigen Opfer von Brüssel und Paris hätten auch durch 8 Meter hohe Stacheldrahtzäune oder neue Grenzen nicht gerettet werden können und Flüchtlinge hatten mit den beiden Anschlägen nichts zu tun. Im Gegenteil, gerade sie flüchten vor dem Terror in ihrer Heimat.
(photo:Peter Heinz Trykar)
Unser tiefstes Beileid gilt all den Unschuldigen und deren Angehörigen, die der pervertierten Weltanschauungen einiger weniger wahnsinnigen Mörder zum Opfer fielen. Deren verzweifelter Versuch, ein Miteinander aller Menschen, egal, welchen imaginären Göttern oder Götzen sie nun nachlaufen wollen, zu unterbinden, muss gestoppt werden.
Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, um die Wurzel dieses Übels auszumerzen: Die Angst vor und den Hass aufeinander. Wir lassen uns nicht von ein paar Wahnsinnigen, von welcher Seite auch immer, gegeneinander aufhetzen.
Die überragende Mehrheit von uns, egal, welcher Konfession wir angehören, egal, welche Hautfarbe wir haben, kann und will in Frieden mit- und füreinander leben.
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