Man kennt ja die freiheitliche Praxis, emotionalisierende Themen als Stimmungsmacher einzusetzen, besonders auf Facebook. Man weiß auch, welche die bevorzugte Stimmung ist, die durch diese Beiträge hervorgerufen werden soll: Empörung. Nichts bewegt die AnhängerInnen der FPÖ mehr als der Empörungsreflex. Und nichts ruft diesen Reflex so verlässlich hervor wie die Beteiligung von Kindern. Oft genügen schon kleine, anekdotenhafte Geschichten wie das angebliche Nikoloverbot im Kindergarten (HoH berichtete), noch besser wirken nur mehr Missbrauch und Misshandlung von Kindern.
Die Wiener FPÖ-Bezirksrätin Claudia Cacik hat am Montag ein ca. neunminütiges Video geteilt, in dem ein dreijähriger Bub von einem erwachsenen Mann schwer misshandelt wird. Wo dieses Video gedreht wurde, ist nicht zu erkennen, aber es ist recht deutlich zu sehen, dass Täter und Opfer nicht dem entsprechen, was man sich in FPÖ-Kreisen unter „echten Österreichern“ vorstellt.
Über den Inhalt dieses Videos braucht man nicht zu diskutieren: Kindesmisshandlung ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen und die Täter gehören selbstverständlich streng bestraft und ihnen der Kontakt zu den Kindern entzogen.
Einige der Kommentare auf dem Thread bei Frau Cacik gehen auch in diese Richtung, aber leider - und nicht gerade überraschend - erstreckt sich die Bandbreite bis zu völlig unangemessenen Gewaltphantasien.
Davon soll aber heute nur am Rande die Rede sein, denn es gilt bei diesem Schulbeispiel für den gesteuerten Empörungsreflex, eine tiefer greifende Überlegung anzustellen: Man fragt sich nämlich, warum Frau Cacik dieses Video überhaupt “geteilt” hat. Man fragt sich desweiteren, warum sie es völlig ohne erklärenden Begleittext “geteilt” hat, ob sie recherchiert hat, woher das Video gekommen ist, ob Handlungsbedarf etwa in Form einer Anzeige besteht.
Man muss wohl davon ausgehen, dass Frau Cacik nichts dergleichen unternommen hat. Später hat sie immerhin noch kommentiert: „Schrecklich was so passiert hab mit geweint hoffevdas den erwischen“.
Uns ist es beim Betrachten des Videos ähnlich ergangen, wie Frau Cacik es in ihrem Kommentar beschreibt. Allerdings haben wir uns dann die Mühe gemacht, genauer hinzusehen und mussten auch nicht lange recherchieren, um alle relevanten Informationen zu diesem Video zu bekommen: Das Video stammt aus Malaysia und kursierte schon einmal im Netz, nämlich im Jahr 2012. Sehr bald nach der Veröffentlichung des Videos wurde der Täter, der 32-jährige Stiefvater des Buben ausgeforscht, verhaftet und zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der Bub wurde im Krankenhaus medizinisch behandelt und lebt nun wieder bei seiner leiblichen Mutter.
Genaueres zu diesem Fall können Sie hier nachlesen: http://www.mimikama.at/allgemein/mann-misshandelt-jungen/
2014 wurde das Video wieder im Internet verbreitet.
Die Facebookseite „Zuerst denken - dann klicken! Hier findest du aktuelle Fakemeldungen“ schreibt dazu: „So etwas auf Facebook zur Schau zu stellen sollte unterbunden werden. Auch Facebook selbst muss sich hier einmal an der Nase nehmen und VIDEOS PRÜFEN, bevor diese von einem User veröffentlicht werden.“ Das deckt sich völlig mit unserer Meinung.
Warum teilt man so ein Video und unternimmt nichts zur Aufklärung des dort gezeigten Verbrechens? Die Antwort auf diese Frage ist leider nur allzu einfach: Man möchte den Anschein erwecken, dass man für Kinder in Not da ist, und nebenbei kann man noch ein bisschen gegen irgend eine unbestimmte Art von „Ausländern“, mutmaßlich Moslems, hetzen (was in diesem Fall vielleicht nicht einmal daneben geraten ist, in Malaysia ist der Islam Staatsreligion und 60% der Bevölkerung sind Moslems). Doch der Schein trügt:
Was hilft es diesem Kind, wenn das Video von seiner Misshandlung immer weiter im Internet verbreitet wird – und nur, um Empörung zu schüren? Natürlich nichts – ganz im Gegenteil: Das Leid dieses Buben wird auch noch für billige politische Propaganda benutzt.
Interessant, dass dies auch noch von Seiten einer Partei passiert, die mit dem Thema „häusliche Gewalt“ oft ganz anders umgeht. Wer erinnert sich nicht an den ehemaligen Parteiobmann der Freiheitlichen in Kärnten Uwe Scheuch, der meinte, es sei "sinnvoll und gut", wenn Pädagogen einem Schützling ab und an "a klane Tetschn" geben könnten, oder an die Amstettner FPÖ-Stadträtin Brigitte Kashofer, die ihre Ablehnung der Subventionierung des örtlichen Frauenhauses damit begründete, dass Frauenhäuser "an der nachhaltigen Zerstörung von Ehen und Partnerschaften maßgeblich beteiligt" seien.