Mittwoch, 1. Juni 2016

Wenn das letzte Vertrauen schwindet - Gastkommentar

Bis in das Mittelalter wurde in vielen Bergwerken in Europa damit gearbeitet, dass die Bergleute unter Tage gigantische Stapel aus Holz auftürmten, so lange Feuer machten, bis das Gestein durch die Hitze aus dem Fels platzte, und dann das abgesprengte Material aus dem Stollen schleppten. Man hat ein wenig das Gefühl, dass diese Art der Spaltung durch Feuer in heutiger Zeit wieder betrieben wird, und zwar nicht im Bergbau, sondern in der Politik. Es werden nicht mehr die Felsen befeuert, sondern die Zukunfts- und Abstiegsängste von Menschen. Menschen, die das gesamte Wertesystem unserer Kultur hinterfragen, Menschen mit mangelnder Zukunftsperspektive oder schlicht Menschen, die eine Erklärung für die gewaltigen Änderungen in unserer Gesellschaft im Heil von hohlen Phrasen suchen.
Die Bundespräsidentenwahl ist geschlagen. Im ersten Wahlgang kristallisierte sich ein Urnengang zwischen Links und Rechts heraus, der im zweiten Wahlgang eine Zweiteilung der Wählerschaft bewirkte, wenn man es so sehen will, zeigte sich ein Graben innerhalb der politischen Einstellungen unserer Gesellschaft. Aber egal wie die Wahl ausgegangen wäre, sie wäre immer eine demokratische Wahl gewesen,  deren weitgehend reibungsloser Ablauf von tausenden mitwirkenden Menschen in Österreich garantiert, überwacht, durchgeführt und nochmals überwacht und kontrolliert wird.

screenshot: www.kurier.at/Juerg Christandl

Überall, wo viele Menschen auf einmal zusammenarbeiten, geschehen zwangsläufig Fehler: Mal vertippt sich einer, ein anderes Mal werden Werte doppelt übermittelt, mal wird etwas zu früh mit der Auszählung begonnen. Aber dafür haben wir in unserer Demokratie ein System der gegenseitigen Kontrolle, in dem jedes Ergebnis veröffentlicht wird, in dem jeder, wenn er möchte, dem System über die Schultern schauen kann (zum Beispiel als Wahlbeobachter). Jedes Ergebnis muss kontrolliert und abgesegnet werden. Auch bei dieser Wahl. Bisher ist kein einziges nicht von allen Parteien anerkanntes Ergebnis bekannt geworden – selbst die Ergebnisse, bei denen nicht alles glatt gelaufen ist, wurden auch von Wahlbeisitzern oder -beobachtern der FPÖ abgesegnet.

Also warum eigentlich nun der ganze Wirbel?

Die Wahl war zugegebenermaßen sehr knapp, und die Briefwahlstimmen haben die Wahl entschieden. Und natürlich kann man sagen: falls wirklich etwas schiefgelaufen ist, könnte sich das Wahlergebnis auch in Richtung Hofer drehen. Auch das wäre im Sinne der demokratischen Prinzipien zu respektieren, und zwar egal, ob man mit dem Ergebnis glücklich wäre.

Strache veröffentlicht seit der Wahl (und sogar bereits ein paar Tage zuvor) ein Posting nach dem anderen über angeblichen Wahlbetrug. Nachdem die Wogen gleich zu Anfang besonders hoch gegangen waren, rief er zur Mäßigung auf – um danach gleich danach den Kurs der Verschwörungstheorien munter fort- und weitere Behauptungen über einen angeblichen Wahlbetrug in die Welt zu setzen. Und seine Anhänger tanzen nach der von ihm vorgegebenen Melodie weiter.

Es finden sich mittlerweile gefälschte Fotos von angeblich vernichteten Stimmzettel im Netz – eingeschleust aus anonymer Quelle –, die beim genaueren Hinsehen als plumpe Fälschungen zu erkennen sind. Auch die Linke macht es mit Satire-Meldungen nicht besonders besser – auch diese stachelt mit vermeintlichen Argumenten die rechte Masse weiter an. Sogar die Satiremeldungen der “Tagespresse” werden von den aufgestachelten BürgerInnen für bare Münze genommen.


screenshot:http://dietagespresse.com/wahlbetrug-fpoe-waehler-berichten-von-personen-in-wahllokalen-die-van-der-bellen-waehlten/

Der Stapel Holz im Berg wird immer weiter befeuert. Karrenweise werden neue vermeintliche Beweise geliefert. Vermeintliche Beweise, die beim genaueren Hinsehen keine Argumente sind, sondern eben nur Gerüchte, teilweise unter absichtlicher Weglassung von Klarstellungen und Fakten. Es werden so lange Gerüchte befeuert, bis die Menschen aus dem demokratischen Grundkonsens herausbrechen und kein Vertrauen mehr in die Abläufe unserer modernen Demokratie haben. Die Vorwürfe der Wahlmanipulation werden zwar nicht bewiesen, aber das Gerücht vom Betrug, an den die Wählerschaft Norbert Hofers lieber glauben möchte als an eine knappe Niederlage, soll und wird sich nach altbewährter Methode in den Köpfen der Menschen festsetzen. Sie sollen glauben, dass ihre Stimme nichts wert ist. Aber das darf nicht passieren – auch wenn sie die FPÖ gewählt haben. Schließlich sind auch sie Wähler in UNSERER Demokratie.