Freitag, 24. Juli 2015

Der Unmensch. Der selbsternannte Feind des Gutmenschen. Gastkommentar

Ihr, die ihr euch darauf geeinigt habt das "Gutsein" oder das "Gutseinwollen" zu verachten, eine moralische Tugend zur Beschimpfung zu verdrehen und euch selbst somit zu Nicht-Gutmenschen, besser Unmenschen macht, ihr habt ein großes Problem:

Ihr glaubt jeden Schmarrn, der auf Facebook steht.

Wenn ich auf Facebook schreibe, dass Flüchtlinge in Traiskirchen im 4-Sterne Hotel untergebracht werden, und auf unsere Kosten Champagner trinken, dann glaubt ihr das. Wenn ihr auf FPÖ-TV seht, dass ein Flüchtling 2.300 € pro Monat fürs Nichtstun bekommt, dann glaubt ihr das. Wenn auf www.netzplanet.net behauptet wird, dass ein EU Austritt euer Leben verbessern wird, weil wir dann die Grenzen schließen und den Schilling wiedereinführen und dann alles gut wird, dann glaubt ihr das. Selbst wenn ihr auf www.unzensuriert.at lest, dass die Regierungen dieser Welt vorsätzlich Chemikalien durch Passagierflugzeuge auf uns nieder regnen lassen, um die Sonne zu verdunkeln, dann glaubt ihr das!

Wenn euch das öffentlich-rechtliche Fernsehen, die Wissenschaft oder seriöse Tageszeitungen darüber informieren, dass das alles kompletter Blödsinn ist, dann glaubt ihr es nicht. Weil es vom Rotfunk, Gutmenschen oder der "Lügenpresse" kommt...

Naturgemäß liegt die Wahrheit oft in einem Graubereich, doch ihr baut euch eure eigene Realität. Eure kleine Blase gefüllt mit Hass und Angst, in der ihr im Kreis schwirrt, wie gefangene Motten, immer panischer, bis ihr selbst nicht mehr wisst auf wen ihr eigentlich wütend seid. Alles außerhalb eurer Blase ist prinzipiell abzulehnen, auch wenn es Fakt ist.

Genau das ist euer Problem. Das ist der Grund warum ihr es nie zu etwas bringen werdet; warum ihr nie in der Welt leben werdet, die ihr euch ersehnt.

Diese Art der Dummheit hat eine Historie sich selbst gegen die Wand zu fahren...


Nachsatz: Eine pauschale Einteilung in Gut- und Nicht-Gutmenschen ist banal und zu radikal, das ist mir klar. Mensch ist Mensch. Eine Kategorisierung in Schwarz und Weiß ist auch nicht die Motivation dieses Beitrages. Vielmehr ist das gewählte Stilmittel ein Spiegel, welcher auf all jene gerichtet ist, die Andersdenkende mit dem Kampfwort Gutmensch abwerten und diffamieren. So in der Art: Gleiches mit gleichem. Ihr wisst schon...

P.S. Ich freue mich über jede Teilung dieses Beitrages.

Donnerstag, 23. Juli 2015

Warum ich Mitglied in einer Traiskirchner Gruppe bin

Tagein, Tagaus screene ich unzählige Facebook-Gruppen, sichere die schlimmsten Kommentare, sehe täglich Fotos von zerfetzten Menschen, von Morddrohungen, den Wünschen nach einem Genozid. Hauptsächlich gegen Muslime gerichtet, entlädt sich der Hass der Menschen, es treten die niedrigsten menschlichen – und auch unmenschlichen – Gefühlsregungen hervor. Mit größtenteils “Gleichgesinnten” unter sich heizt sich die Stimmung ähnlich schnell auf wie in den heißesten Sommertagen. Die letzten Hemmungen fallen dann, wenn sich das Thema um Flüchtlinge dreht. Da wird dann überhaupt von der neuerlichen Inbetriebnahme des Konzentrationslagers Mauthausen phantasiert, dem Erschießen, Ertränken oder Vergasen aller Flüchtlinge.

Menschlichkeit.

In der Gruppe „START NOW. Traiskirchen Flüchtlingslager“ werden Sachspenden von Privatpersonen für das Flüchtlingslager in Traiskirchen gesammelt, die Verteilung organisiert. Nicht etwa von Organisationen mit elaborierter Logistik, nein, von Privatpersonen.

Da schreibt zum Beispiel eine Userin, dass eine Bekannte mit einer Boutique auf jede abgegebene Spende einen Rabatt auf die Waren hergibt. Oder es werden Fotos vom Verteilen der Hilfsartikel gepostet, und so weiter.

Unmenschlichtkeit.

Wieder zurück in den rechten Gruppen und auf den rechten Seiten. Ein Video über zwei junge Männer die von außerhalb einer Trafik mit dem Besitzer um einen Euro (für die Flüchtlinge nicht gerade wenig Geld) streiten, während dieser sie immer weiter provoziert. „Sagt endlich was ihr wollt“. Ein Wortgefecht aus schlechtem Deutsch auf der einen Seite, ein Mann mit einer Handykamera auf der anderen Seite. Die beiden jungen Männer lassen sich zu dummen Aussagen hinreißen, am Ende wird die Polizei gerufen. Verbreitet über das Portal unzensuriert.at, gepostet auf der Facebook-Seite von Bundesparteiobmann Strache, als wäre dieser Vorfall eine Staatsaffäre. „Eine Aufs mauul für die drecksau“, „I tatn sofort umbringen“, „9mm schloftabletta“, „normal muast erm glei die Doppel läufige in die fressen stecken!!!!“. Im Vergleich zu diesen Kommentaren von “echten Österreichern” wirken die Beschimpfungen im geposteten Video denkbar harmlos.

Aber an diesem Tag sind die Aussagen nicht mehr ganz so schlimm. Subjektiv gesehen zumindest. Strafrechtlich natürlich weiterhin, aber es gibt zumindest wieder Hoffnung.

Hoffnung darauf, dass es eben auch gute Menschen gibt. Menschen, mit Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Empathie. Menschen wie zum Beispiel eine junge Frau, die die Gruppe „START NOW. Traiskirchen Flüchtlingslager“ am Laufen hält. Mitte 20, eigentlich ein Alter, in dem man einen Hochsommertag mit 38°C vielleicht eher mit Freunden am Badesee und nicht mit dem Verteilen von Hilfsgüter in der Gluthitze verbringen würde.

Interview mit einer der Organisatorinnen:

Hanibal Dorfer (HoH):
Was hat euch dazu bewegt, euch da so einzubringen?
Gloria Azra:
Ich bin ja eine konvertierte muslima und wollte in der Fastenzeit etwas Gutes tun... Einmal Spenden sammeln und raus bringen. Nur ab den Zeitpunkt spürte ich das volle Ausmaß der Gleichgültigkeit mancher Menschen, als ich einen Spendenaufruf gestartet hatte und sich keiner gemeldet hat... Im Gegenteil: die haben uns beschimpft... Wir wollten es aber fortsetzen und sagten, dass wir nicht aufgeben, und wir müssen Menschen zum nachdenken anregen... Wir sind der Meinung, wir haben selbst nicht viel, aber das bisschen, das wir haben, können wir teilen - und würde jeder so denken, wäre die Welt ein schönerer Ort...

Hanibal Dorfer (HoH):
Inwiefern wurden Sie beschimpft?
Gloria Azra:
Dass wir sowas noch unterstützen, und das zuerst mal den Leuten in Österreich geholfen wird mit österreichischer Herkunft... Im Endeffekt ist es egal welche Herkunft , Religion , Hautfarbe sie haben! Mensch ist Mensch... Keiner ist besser als der andere, auch wenn es die meisten denken.
Hanibal Dorfer (HoH):
Woran fehlt es Ihrer Ansicht nach in Österreich, dass eine derartige Stimmung herrscht?
Gloria Azra:
Wir haben vergessen, wie es ist, in einen Kriegsgebiet zu leben... Wir haben vergessen, wie gut es uns hier geht in Österreich... Und natürlich diese Hetze von manchen Politikern und den Schandzeitschriften die einfach einen leeren Anzeigenplatz haben und den mit irgendeinen Mist voll schreiben.
Es ist eine Hetzjagd mittlerweile... So kommt es mir vor, und irgendwann sind wir wieder soweit…
Hanibal Dorfer (HoH):
War es sehr schwer, die Hilfsgüter zusammenzutragen?
Gloria Azra:
Ja, dadurch, dass ich selbst nicht viel Einkommen habe und die meisten Menschen nicht mobil sind, musste ich die Leute besuchen und die Spenden selbst abholen, da ich ein Auto habe. Nur was anfangs nicht überlegt wurde: dass es enorm viel an Sprit kostet, jedes Mal da raus zu fahren nach Traiskirchen und die Spenden von den Menschen zu holen - darum diesmal auch der Aufruf um einen kleinen finanziellen Beitrag... Das größte Problem stellt das Auto dar, weil mein Wagen sehr klein ist und wir wenig rein bekommen…
Und man macht mit Menschen Termine aus, dass man die Spenden zB von ihnen aus dem 14ten Bezirk holt und dann steht man vor verschlossener Tür, und man ist umsonst hingefahren... Traurig.
Hanibal Dorfer (HoH):
Wie kann man euch am besten unterstützen?
Gloria Azra:
Natürlich am besten mit Geld, da wir genauso einkaufen gehen für die Menschen dort, da wir mittlerweile wissen, welche Spenden gut ankommen, was diese Menschen benötigen... Sonst Hygieneartikel (Shampoo, Duschgel, Windeln), Schuhe, Essen…
Und natürlich soviel Werbung wie möglich für diese Aktion zu machen... Dass sie so viele Menschen wie möglich erreicht.
Hanibal Dorfer (HoH):
Wie kann man mit euch Kontakt aufnehmen um euch zu unterstützen?
Gloria Azra:
Derzeit läuft alles über unsere Facebook-Gruppe.
https://www.facebook.com/groups/960036000704118/963587720348946

Hanibal Dorfer (HoH):
Danke für das Interview!

Foto (C) Gloria Azra / 2015 Traiskirchen

An dieser Stelle möchte ich mich bei euch bedanken. Nicht nur für die vielen Dinge, die ihr zusammenpackt, sondern auch dafür, dass Ihr mir wieder Hoffnung gebt. Hoffnung darauf, dass es eben Menschen mit Werten, Menschen mit Empathie – eben Menschen mit Menschlichkeit gibt.

Danke!

Wer mithelfen möchte:
Wer ihnen finanziell dabei helfen möchte:
Bezeichnung : START NOW
BIC: GIBAATWWXXX, IBAN: AT392011128918980002