Dienstag, 9. September 2014

Radikalisierungen und Islam

Gastkommentar von Senol Akkilic*


Jugendliche über Sommermonate in Internaten, die Moscheevereinen gehören, immer mehr junge Mädchen, die bereits als Fünfjährige verschleiert werden und junge Männer, die meinen Kolleginnen während meiner Tätigkeit als Jugendarbeiter das Händeschütteln verweigerten, waren eindeutige Signale, dass die Szene zusehends strengkonservativ wurde.

Nach der Machtübernahme der AKP in der Türkei, hat sich die moslemisch religiöse Szene in Österreich noch mehr verbreitet und organisatorisch strukturiert. Ich kann mich noch erinnern, dass Anfang der 1980er bis in die 1990er Jahre dem Islam angehörige Menschen, die in Österreich lebten, eher einen laizistischen Zugang zum Leben hatten. Die Anzahl der Moscheen und Moscheevereine war sicher nicht so hoch wie heute.

Dass mit dieser Zunahme früher oder später auch radikalisierte Kräfte wie die Salafisten Fuß fassen würden, war vorauszusehen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die von Österreich in den Irak oder nach Syrien für den “Dschihad” ziehen, wurden ja zunächst nicht von der Terrororganisation IS (Islamischer Staat), sondern von Al Nusra rekrutiert.

Es wird angenommen, dass als Versammlungsort für die radikalisierte Szene Moscheen bzw. Moscheevereine dienen, die jedoch nicht innerhalb der IGGIÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich) organisiert sind. Warum gegen diese Institutionen rechtlich nicht vorgegangen wird, liegt daran, dass laut Auskunft der Exekutive keine Beweise für Radikalisierungprogramme in diesen Einrichtungen vorliegen. Es ist, wenn man so will, eine große Herausforderung für den Rechtsstaat und die Demokratie.

Die große Mehrheit der organisierten Moscheen und Moscheevereine sind zwar keine “Brutstätten” für Radikalisierungen, doch deren Schweigen gegenüber dem IS-Terror verstimmt die österreichische Öffentlichkeit. Dass die IGGIÖ sich dennoch vom IS und seinen Machenschaften distanziert, ist gut. Schließlich stellt der IS ein Problem für die Mehrheit der Moscheevereine und Moscheen dar, weil diese auch ihre Klientel ansprechen will.

Dass die Öffentlichkeit inklusive Moscheevereine dem Treiben von Radikalisierern zugeschaut hat, liegt daran, dass nur ein unkritischer Austausch zwischen den Religionsgemeinschaften geherrscht hat und man sich der Gefahr, die sich innerhalb des Islam entwickelt hat, nicht bewusst war. Ganz im Gegenteil, die Errichtung des König Abdullah-Dialog-Zentrums in Wien mit Beteiligung vom Vatikan, österreichischem Außenministerium und Spanien hat eine Ideologie – den Wahabismus - legitimiert, die viele Gläubige jahrhundertelang zurückgeworfen hat.

Der “Dialog der Religionen” verschaffte dem Thema Religion insgesamt, aber auch manchen Einrichtungen wie Milli Görüs, mehr Präsenz und Aufmerksamkeit durch die SPÖ und ÖVP. KandidatInnen, die nicht dem gemäßigtem Islam zugeordnet werden, fanden ihre Plätze auf den Listen dieser Parteien und erweiterten ihren Einflussbereich.

Diese nicht gemäßigten Muslime haben den Nährboden für radikale Kräfte bereitet und sind zum Teil selbst nicht mehr dazu in der Lage ihren Anhang davor zurückhalten, dem IS oder ähnlichen Kräften beizutreten. Die türkisch-nationalistische Einstellung mancher Moscheen wäre eine Erklärung dafür, dass sich ihre Politik bezüglich IS an der Position der Türkei orientiert. Bekanntlich hat die Türkei den IS noch nicht zu einer Terrororganisation erklärt.

Das Problem ist jedoch tiefgreifender und muss grundsätzlich angegangen werden. Globalisierung und Migration stellen die Politik, die Nationalstaaten, Religionen und Kulturen vor neue Herausforderungen und Umbrüche. Konzepte, die hauptsächlich eine mono-religiöse und nationalstaatlich begründete Strukturierung und Finanzierung von Systemen und Inhalten vorsehen, geraten zusehends in Bedrängnis, weil neue Religionen und Kulturen sowie Ethnien Ansprüche an jene Staaten stellen, in denen sie angekommen sind. Sie sind die neuen Player im Verteilungskampf - sowie auch jene neuen politischen AkteurInnen, die über etablierte Parteien in Gemeinderäte und Landtage eingezogen sind.

Im Falle der moslemischen Bevölkerung reicht es nicht mehr aus zu wiederholen, dass der Islam in Österreich als Religion anerkannt ist, sondern es stellt sich die Frage wie sehr dieser akzeptiert und verinnerlicht wird. Eine Antwort auf die Radikalisierung liefert uns eine ernsthafte Auseinandersetzung mit diesem Thema. Die Verinnerlichung ist damit verbunden, wie sehr wir den Islam für kritikfähig halten. Derzeit läuft die Debatte eher zwischen Ablehnung des Islam und einem unkritisch organisierten Dialog der Religionen. Der Hinweis, dass westliche Demokratien säkular, demokratisch und auf Menschenrechte aufgebaut sind, löst das Problem nicht. Es muss viel mehr der kritische Dialog gesucht werden, um vor allem jenen moslemischen AkteurInnen, die ein Interesse haben, dass ein gutes Zusammenleben nicht funktioniert, den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dass in letzter Zeit vermehrt moslemische Kindergruppen und Schulen eröffnet werden, hat zum Teil seinen Grund darin, dass die öffentliche Hand mit der Kinderbetreuung nicht nachkommt und über jede Lösung der Kinderbetreuung glücklich ist. Doch damit nehmen wir unhinterfragt in Kauf, dass sich die Qualität der Kinderbetreuung verringert und gefährliche Entwicklungen zugelassen werden.

Die ausländerfeindliche und islamophobe Stimmung ist für nationalistische und ultrareligiöse Kräfte unter den MigrantInnen ein gefundenes Fressen, mit dem sie neue Zielgruppen ansprechen und mobilisieren. Wir müssen darauf achten, dass dieser Entwicklung Einhalt geboten wird. Ein wichtiges Mittel dazu ist ein entschlossener Kampf gegen Rassismus, Nationalismen und Radikalismen auf politischer und rechtlicher Ebene.

*"Akkılıç arbeitet seit 1985 bei den Wiener Grünen mit und war zwischen den Jahren 2001 und 2004 als Bezirksrat im 10. Wiener Gemeindebezirk Favoriten aktiv. Er war innerparteilich als Mitglied der Bezirkekonferenz der Wiener Grünen tätig und kandidierte bei der Landtags- und Gemeinderatswahl 2010 für die Wiener Grünen. In der Folge wurde Akkılıç am 25. November 2010 als Landtagsabgeordneter bzw. Gemeinderat angelobt und übernahm gleichzeitig die Funktion des Bereichssprechers für Integration und Jugend innerhalb des Grünen Rathausklub." (Quelle Wikipedia)