Was ist Meinungsfreiheit, was ein legitimes Verbot totalitärer Umtriebe? Eine juristische Scharfstellung im Nachhall der von Norbert Hofer ausgelösten Debatte
Man ist versucht, von der ewigen Wiederkehr des Gleichen zu sprechen, wenn in regelmäßigen Abständen die Forderung, jenen Teil des Verbotsgesetzes aufzuheben, mit dem insbesondere die Leugnung, die gröbliche Verharmlosung oder die Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit als strafbare Handlung ausgewiesen ist, medial verbreitet wird. Und so verwunderte es nicht, als zuletzt Norbert Hofer die Frage aufwarf, wann denn wohl "unsere Demokratie so weit entwickelt (ist), dass sie es aushält, wenn jemand etwas sehr Dummes sagt?" - zumal sich die genannte Passage des Verbotsgesetzes "ein bisschen mit der Meinungsfreiheit" spieße.
Die politischen Positionen zu derartigen Ansinnen sind bekannt. Dringlichkeit und Intensität, mit der Debatten rund um das Verbotsgesetz typischerweise geführt werden, zeugen von der Bedeutung ihres Gegenstandes: Im Verbotsgesetz kulminiert jene abwehrende Haltung, die die wiedererstandene Republik dem Nationalsozialismus und dem Gedankengut, auf dem er aufbaute, entgegenbringt. Damit ist es nicht nur Grenzmarkierung des vielzitierten Verfassungsbogens, sondern zugleich normative Mahnung, dass Werte wie Freiheit und Rechtsstaatlichkeit nicht selbstverständlich sind, sondern wider beschämende Wahnvorstellungen zu erringen waren, die gerade auch hierzulande allzu viele BefürworterInnen gefunden und zahllose Opfer gefordert haben.
Vor diesem Hintergrund waren die ablehnenden politischen Reaktionen auf Hofers Vorstoß erwartbar; ebenso wie der Umstand, dass der Dritte Nationalratspräsident seine Äußerungen in ihrem Gefolge entscheidend relativieren sollte und dementsprechend nunmehr weder "Änderungsbedarf beim Verbotsgesetz" erkennt, noch dafür plädiert, "dass der Strafrahmen herabgesetzt wird".
Normen im Konflikt?
Was bleibt, und in der besagten Regelmäßigkeit wohl wieder auf das Tapet kommen wird, ist der von Hofer vorgebrachte Anwurf, die angesprochenen Passagen des Verbotsgesetzes stünden in Konflikt zur Meinungsfreiheit. Auch dieser Einwand ist bekannt. Zutreffend ist er nicht. Mehr noch: Dem österreichischen Verfassungsrecht und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entsprechend sind die im Verbotsgesetz inkriminierten Äußerungen schon dem Grunde nach nicht vom Schutz freier Meinungsäußerung umfasst.
Die Verfassungsordnung normiert freie Meinungsäußerung in Art. 13 Staatsgrundgesetz 1867 und in Gestalt von Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRRK), die in Österreich ebenfalls Verfassungsrang genießt; ebenso wie das Verbotsgesetz selbst, muss man hinzusetzen. Aus nationaler Perspektive ist das Verhältnis von Verbotsgesetz und Meinungsfreiheit damit nicht notwendig konfliktträchtig. Vereinfacht ausgedrückt: Was die eine Verfassungsnorm verbietet, ist von der anderen nicht geschützt. Damit aber sind zugleich Leugnung, gröbliche Verharmlosung oder Rechtfertigung nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht vom Schutz freier Meinungsäußerung nach der österreichischen Bundesverfassung umfasst.
Missbrauchsklausel
Zu dem Ergebnis gelangt man auch ungeachtet der Besonderheiten des österreichischen Verfassungsrechts, mit Art. 17 EMRK, wonach "keine Bestimmung dieser Konvention (...) dahin ausgelegt werden (darf), dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person das Recht begründet, eine Tätigkeit auszuüben oder eine Handlung zu begehen, die auf die Abschaffung der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten oder auf weitergehende Beschränkungen dieser Rechte und Freiheiten, als in der Konvention vorgesehen, hinzielt".
Mit dieser Missbrauchsklausel als Antwort auf das Problem, das unter Toleranzparadoxon (s. unten) firmiert, verfügt die EMRK als wehrhaftes Instrument des Menschenrechtsschutzes über die Möglichkeit, solchen Akten entgegen zu wirken, die darauf gerichtet sind, ihrer antitotalitäre Ausrichtung mit den in ihr selbst zur Verfügung gestellten Mitteln entgegenzulaufen.
Zu solchen Akten, denen der Schutz der Konventionsgarantien vorenthalten ist, zählen insbesondere auch die Leugnung, die gröbliche Verharmlosung oder die Rechtfertigung des Holocaust und anderer nationalsozialistischer Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eben weil solche Äußerungen ihrem Charakter nach darüber hinausgehen, dass "etwas sehr Dummes" gesagt wird. Vielmehr besitzen sie instrumentelle Funktion, indem sie danach trachten, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft zu rehabilitieren und über den revisionistischen Blick auf ihre Gräueltaten die Opfer unter dem impliziten Vorwurf der Geschichtsfälschung aufs Neue zu Feinbildern zu stilisieren.
Hier aber treffen sie in Gestalt der Missbrauchsklausel auf die Abwehrreaktion eines liberalen Rechtsrahmens, der sich zur Aufgabe gemacht hat, die Demokratie gegen jene zu verteidigen, die den Rechtsstaat als Trojanisches Pferd missbrauchen, um ihre Bastionen zu überwinden. Das Verbotsgesetz und die Meinungsfreiheit stehen damit in keinem Konfliktverhältnis zueinander. Denn die Freiheit, die unsere Verfassung und der europäische Grundrechtsrahmen gewährleisten in Anbetracht historischer Erfahrung und Verantwortung, wäre das erste Opfer totalitären Gedankenguts.
(Christoph Bezemek, DER STANDARD, 13.11.2013)
Christoph Bezemek (32) ist als assoziierter Professor am Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht der Wirtschaftsuniversität Wien tätig.