Freitag, 18. März 2016

"als-ob-Nazi" - ein Gastkommentar von Peter Hodina



Peter Hodina

Der Vollmensch wird Freiheitlicher als ob mit blondem Schweröl im Kopf

„Wo wills hinaus? – Noch eine Dicke,
An der ich mich vielleicht erquicke!
Zum letzten Mal gewagt! Es sei!
Recht quammig, quappig“ (Faust II, 2. Akt)     


Peter Hodina bei einer Vorlesung aus seinem Buch "Steine und Bausteine 3"

Er singe die Nazilieder ja nur „als ob“, rechtfertigte sich der Vollmensch. Deswegen weil er manchmal in aus­ge­las­sener Stimmung Nazilieder singe, sei er noch lange kein Na­zi. Deswegen weil er Judenwitze erzähle, noch lange kein Antisemit. Dies alles tue er nur „als ob“. Er müsse die­sen Anteil, der in jedem sei, abreagieren. Er surfte dann in einer Art Weinseligkeit dahin. Den „inneren Faschisten“ müsse man annehmen, „den Wolf umarmen“. Die Lieder klän­gen wie Nazilieder, aber es bestünde da ein feiner Un­terschied, eine „differentia specifica“. Es seien sogar wirk­lich Nazilieder, äußerlich durch nichts von den echten Na­ziliedern unterschieden. Man könne genaugenommen kei­nen Unterschied bemerken, ob diese Lieder nun aus Nazi-Keh­len oder Antinazi-Kehlen gesungen würden. Es sei äu­ßerlich das gleiche. Aber innerlich... 

Der metaphysische Un­terschied! Es ginge um die Metaphysik des Alltags, die kon­krete Metaphysik! Indem ein Antifaschist Nazilieder wie ein waschechter Nazi singe, würde das Liedgut, so mein weinseliger Vollmensch, gleichsam aus aller Bar­barei erlöst; es gäbe dann auch keine Nazis mehr, wenn al­le äußerlich sich wie Nazis verhielten. Denn wie könnten die echten von den Als-ob-Nazis dann noch unterschieden wer­den? Einer gliche dem andern - und doch: innerlich klaff­ten Welten. Der Vollmensch verstieg sich zu fort­ge­schrittener Stunde sogar zu der Aussage, man könne die Haider-Partei wählen, obwohl man im Grunde gegen Hai­der wäre, denn so, wenn alle den Haider wählten, wären al­le Antifaschisten bis zur Unauffindbarkeit in dem einen blauen wogenden Ozean getarnt. Er sagte wirklich „in dem einen blauen wogenden Ozean“, und in ihm schien tat­säch­lich etwas zu wogen, zu schäumen, zu brodeln, zu zischen und zu knallen. Na und, es seien Nazilieder. Und er lasse sich ihr Absingen von niemandem verbieten, weil er sich nie­mals von niemandem je etwas verbieten habe lassen. Also sei er ein standhafter Anwalt der Freiheit, sozusagen ein authentischer Freiheitlicher. Der Vollmensch fuhr plötz­lich in die Höhe, riss wie ein Automat den Arm hoch und brüllte „Heil Hitler!“. Die Umsitzenden starrten alle her. Dann beugte er sich zu mir herunter, und stieren Blicks fragte er mich quer über die Tischplatte: „Bin ich denn deshalb jetzt ein anderer Mensch?“ Deswegen weil er „Heil Hitler!“ brülle, sei er noch lange kein Nazi. Er zitiere le­diglich performativ den Nazi-Gruß, er zeige vor, wie ein echter Nazi zu grüßen habe, er zeige vor, wie irrsinnig seinerzeit die Nazis gewesen wären. 

Und dann raunte er mir ins Ohr, dass er verrückt nach deutschen blauäugigen Blon­dinen sei, dass er oft alte Fotoalben und Bildbände durch­blättere und wenn er in diesen auf seine Nazinen tref­fe, sich in die Hose greife, so sehr verhexe ihn das. Be­son­ders ein Bild habe es ihm angetan: eine bei einem Bom­benangriff erstickte Nazine in SS-Uniform, mit einem ir­ren Grinsen im Gesicht, und mit der wolle er Beischlaf be­gehen. Er schreie beim Wichsen lauter germanische Frau­en­namen wie eine Litanei vor sich her, und diese Namen wür­den zu einer metaphysischen Realität, die zu seinem Le­benselixier geworden sei. Bei linksgerichteten Frauen bekäme er schon lange keinen mehr hoch. Er wolle ganz einfach nur mehr ein besinnungsloser Zuchthengst im „Le­bensborn“ sein, gestand er mir unter dem Siegel der Ver­schwiegenheit, „ganz unter Männern gesagt“. Auf der Su­che nach dem reinen Ficken sei er auf die blauäugigen Blon­dinen gestoßen, die er bei Vollmond auf alten heid­nischen Kultstätten schwängern wolle, so viele wie mög­lich. In diesen Momenten müsse er sich ganz in einen Fa­schisten versteifen, er dürfe dann kein Als-ob-Faschist mehr sein, sondern ein echter, „waschechter“, wie er sagte. 


Das sei so etwas wie eine heilige Kommunion. Man könne das Bewusstsein nur dann noch abschalten, wenn man sich im Nationalsozialismus „verinnige“, so seine Ausdrucks­weise. Wie ein Kaninchen-Bock möchte er sogleich nach ge­tanem Befruchtungswerk vom Körper seiner Partnerin ab­rutschen, herunterpurzeln und in einen tiefen unschul­digen Schlaf fallen. „Bin ich aber deshalb schon ein Na­zi?“, fragte er mich. Und dann gestand er mir noch, bei der letzten Wahl perverserweise die Freiheitlichen gewählt zu ha­ben, „aber als Gegner“. Das ganze sei eine Inszenierung im Imaginären.  Kürzlich wäre ihm beinahe der Genuss des „blonden Fleisches“ – so drückte er sich aus – abhan­den gekommen. Ein von ihm so genanntes „Vollweib“ habe sich nämlich als „Halbweib“ entpuppt: als eine In­tel­lektuelle. Sie hätte zu ihm gesagt, dass sie ihm das näch­ste­mal den Schwanz abschneiden werde. Denn sie spiele im Gegensatz zu ihm nicht immer das gleiche öde Spiel. Sie sei zwar letzthin seine „germanische Zuchtstute“ ge­we­sen, aber sie sei es überdrüssig geworden, mit solchen Rei­zen alternde Männer anzufachen, denen die erotische Phan­tasie ausgegangen sei. 

Mit Vorliebe drehe sie die Rol­len um. Sie hießen ja Rollen, weil sie sich nach Belieben rol­len ließen, mal so, mal anders, mal wieder ganz anders. Sie wähle entweder kommunistisch oder gehe überhaupt nicht zur Wahl, je nach Dringlichkeit und Laune. Sie habe eine Vorliebe für das Meer, für die Meeresluft. Sie sei für Freiheit, doch ganz gegen die Freiheitliche Partei. „Ihr Ge­birgler seid alle eng im Kopf, euch sind die Alpen seit Ge­ne­rationen in die Hirnwindungen hineingewachsen. Eure Schädel sind erstarrte Tropfsteinhöhlen. Deswegen weil ihr ein paar hundert Meter höher über dem Meeresspiegel liegt, braucht ihr nicht zu glauben, dass ihr einen größeren Überblick hättet.“ Sie kommt von der Nordseeküste. „Un­sere Hexen sind anders – mehr Nixen“, sagte sie zärtlich zu dem blondinenfressenden Vollmenschen. Dieser war da­von abgetörnt. Mit hängendem Schwanz zog er von dan­nen. Er wolle nun keine Germaninnen mehr, denn unter „Ger­manin“ stelle sich sein Imaginäres etwas anderes vor. Er wolle jetzt nur mehr freiheitliche Österreicherinnen oder christlichsoziale Bajuwarinnen ficken, derbe, deftige Blon­dinen. „So eine geile freche Schützenliesel“, setzte er zur Erläuterung hinzu. „Die auf einem riesigen rollenden Fass schaumgekrönte Bierkrüge serviert.“ Er sehne sich nach dem rechtsgerichteten Regionalismus. Mit dem Be­geh­ren der Germaninnen sei er gründlich eingefahren. „Viel­­leicht sollte ich es doch mit fetten Negerinnen pro­bie­ren“, so seine schlichte rassistische Ausdrucksweise. „Wie dem auch sei. Ich lüfte vor dir mein letztes Ge­heim­nis“ – und er zog aus seiner Brieftasche den Mitglieds­aus­weis der Freiheitlichen Partei.
„Aber nur als ob!“


(Aus: Steine und Bausteine 2,  Berlin: Avinus Verlag, 2010, S. 57-60)