Peter Hodina
Der
Vollmensch wird Freiheitlicher als ob mit blondem Schweröl im Kopf
„Wo wills hinaus? – Noch eine Dicke,
An der ich mich vielleicht erquicke!
Zum letzten Mal gewagt! Es sei!
Recht quammig, quappig“ (Faust
II, 2. Akt)
Er singe die Nazilieder ja nur „als ob“, rechtfertigte sich der Vollmensch. Deswegen weil er manchmal in ausgelassener Stimmung Nazilieder singe, sei er noch lange kein Nazi. Deswegen weil er Judenwitze erzähle, noch lange kein Antisemit. Dies alles tue er nur „als ob“. Er müsse diesen Anteil, der in jedem sei, abreagieren. Er surfte dann in einer Art Weinseligkeit dahin. Den „inneren Faschisten“ müsse man annehmen, „den Wolf umarmen“. Die Lieder klängen wie Nazilieder, aber es bestünde da ein feiner Unterschied, eine „differentia specifica“. Es seien sogar wirklich Nazilieder, äußerlich durch nichts von den echten Naziliedern unterschieden. Man könne genaugenommen keinen Unterschied bemerken, ob diese Lieder nun aus Nazi-Kehlen oder Antinazi-Kehlen gesungen würden. Es sei äußerlich das gleiche. Aber innerlich...
Der metaphysische Unterschied!
Es ginge um die Metaphysik des Alltags, die konkrete Metaphysik! Indem ein
Antifaschist Nazilieder wie ein waschechter Nazi singe, würde das Liedgut, so mein weinseliger Vollmensch,
gleichsam aus aller Barbarei erlöst;
es gäbe dann auch keine Nazis mehr, wenn alle äußerlich sich wie Nazis
verhielten. Denn wie könnten die echten von den Als-ob-Nazis dann noch
unterschieden werden? Einer gliche dem andern - und doch: innerlich klafften Welten. Der Vollmensch verstieg sich zu fortgeschrittener
Stunde sogar zu der Aussage, man könne die Haider-Partei wählen, obwohl man im
Grunde gegen Haider wäre, denn so, wenn alle den Haider wählten, wären alle
Antifaschisten bis zur Unauffindbarkeit in dem einen blauen wogenden Ozean
getarnt. Er sagte wirklich „in dem einen blauen wogenden Ozean“, und in ihm
schien tatsächlich etwas zu wogen, zu schäumen, zu brodeln, zu zischen und zu
knallen. Na und, es seien Nazilieder. Und er lasse sich ihr Absingen von
niemandem verbieten, weil er sich niemals von niemandem je etwas verbieten
habe lassen. Also sei er ein standhafter Anwalt der Freiheit, sozusagen ein
authentischer Freiheitlicher. Der Vollmensch fuhr plötzlich in die Höhe, riss
wie ein Automat den Arm hoch und brüllte „Heil Hitler!“. Die Umsitzenden
starrten alle her. Dann beugte er sich zu mir herunter, und stieren Blicks
fragte er mich quer über die Tischplatte: „Bin ich denn deshalb jetzt ein
anderer Mensch?“ Deswegen weil er „Heil Hitler!“ brülle, sei er noch lange kein
Nazi. Er zitiere lediglich performativ
den Nazi-Gruß, er zeige vor, wie ein echter Nazi zu grüßen habe, er zeige vor,
wie irrsinnig seinerzeit die Nazis gewesen wären.
Und dann raunte er mir ins
Ohr, dass er verrückt nach deutschen blauäugigen Blondinen sei, dass er oft
alte Fotoalben und Bildbände durchblättere und wenn er in diesen auf seine
Nazinen treffe, sich in die Hose greife, so sehr verhexe ihn das. Besonders
ein Bild habe es ihm angetan: eine bei einem Bombenangriff erstickte Nazine in
SS-Uniform, mit einem irren Grinsen im Gesicht, und mit der wolle er Beischlaf
begehen. Er schreie beim Wichsen lauter germanische Frauennamen wie eine
Litanei vor sich her, und diese Namen würden zu einer metaphysischen Realität,
die zu seinem Lebenselixier geworden
sei. Bei linksgerichteten Frauen bekäme er schon lange keinen mehr hoch. Er
wolle ganz einfach nur mehr ein besinnungsloser Zuchthengst im „Lebensborn“
sein, gestand er mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit, „ganz unter
Männern gesagt“. Auf der Suche nach dem
reinen Ficken sei er auf die blauäugigen Blondinen gestoßen, die er bei
Vollmond auf alten heidnischen Kultstätten schwängern wolle, so viele wie möglich. In diesen
Momenten müsse er sich ganz in einen Faschisten versteifen, er dürfe dann kein
Als-ob-Faschist mehr sein, sondern ein echter, „waschechter“, wie er sagte.
Das
sei so etwas wie eine heilige Kommunion. Man könne das Bewusstsein nur dann
noch abschalten, wenn man sich im Nationalsozialismus „verinnige“, so seine
Ausdrucksweise. Wie ein Kaninchen-Bock möchte er sogleich nach getanem
Befruchtungswerk vom Körper seiner Partnerin abrutschen, herunterpurzeln und
in einen tiefen unschuldigen Schlaf fallen. „Bin ich aber deshalb schon ein Nazi?“,
fragte er mich. Und dann gestand er mir noch, bei der letzten Wahl
perverserweise die Freiheitlichen gewählt zu haben, „aber als Gegner“. Das ganze sei eine Inszenierung im Imaginären. Kürzlich wäre ihm beinahe der Genuss des
„blonden Fleisches“ – so drückte er sich aus – abhanden gekommen. Ein von ihm
so genanntes „Vollweib“ habe sich nämlich als „Halbweib“ entpuppt: als eine Intellektuelle.
Sie hätte zu ihm gesagt, dass sie ihm das nächstemal den Schwanz abschneiden
werde. Denn sie spiele im Gegensatz zu ihm nicht immer das gleiche öde Spiel.
Sie sei zwar letzthin seine „germanische Zuchtstute“ gewesen, aber sie sei es
überdrüssig geworden, mit solchen Reizen alternde Männer anzufachen, denen die
erotische Phantasie ausgegangen sei.
Mit Vorliebe drehe sie die Rollen um.
Sie hießen ja Rollen, weil sie sich nach Belieben rollen ließen, mal so, mal
anders, mal wieder ganz anders. Sie wähle entweder kommunistisch oder gehe
überhaupt nicht zur Wahl, je nach Dringlichkeit und Laune. Sie habe eine
Vorliebe für das Meer, für die Meeresluft. Sie sei für Freiheit, doch ganz
gegen die Freiheitliche Partei. „Ihr Gebirgler seid alle eng im Kopf, euch
sind die Alpen seit Generationen in die Hirnwindungen hineingewachsen. Eure
Schädel sind erstarrte Tropfsteinhöhlen. Deswegen weil ihr ein paar hundert
Meter höher über dem Meeresspiegel liegt, braucht ihr nicht zu glauben, dass
ihr einen größeren Überblick hättet.“ Sie kommt von der Nordseeküste. „Unsere
Hexen sind anders – mehr Nixen“, sagte sie zärtlich zu dem blondinenfressenden
Vollmenschen. Dieser war davon abgetörnt. Mit hängendem Schwanz zog er von dannen.
Er wolle nun keine Germaninnen mehr, denn unter „Germanin“ stelle sich sein
Imaginäres etwas anderes vor. Er wolle jetzt nur mehr freiheitliche
Österreicherinnen oder christlichsoziale Bajuwarinnen ficken, derbe, deftige
Blondinen. „So eine geile freche Schützenliesel“, setzte er zur Erläuterung
hinzu. „Die auf einem riesigen rollenden Fass schaumgekrönte Bierkrüge
serviert.“ Er sehne sich nach dem rechtsgerichteten Regionalismus. Mit dem Begehren
der Germaninnen sei er gründlich eingefahren. „Vielleicht sollte ich es doch
mit fetten Negerinnen probieren“, so seine schlichte rassistische
Ausdrucksweise. „Wie dem auch sei. Ich lüfte vor dir mein letztes Geheimnis“
– und er zog aus seiner Brieftasche den Mitgliedsausweis der Freiheitlichen
Partei.
„Aber nur als ob!“
(Aus: Steine und Bausteine 2, Berlin: Avinus Verlag, 2010, S. 57-60)