Montag, 27. April 2015

„Die Grenze zu ´Wehret den Anfängen!´ ist seit vielen Jahren überschritten.“

Uwe Sailer. Quelle: Privat

Ein Gespräch mit dem Datenforensiker und Kripobeamten Uwe Sailer im Juni 2014.

Am 13. November 2013 hielt Uwe Sailer im Rahmen der Geh Denken!-Reihe mit Schwerpunkt Rechtsextremismus (Wintersemester 2013/2014) einen Vortrag. Hier spricht er über die Rolle von Datenforensik im Kampf gegen Rechtsextremismus, neonazistische Auftritte im Internet und den Umgang und das Vorgehen des österreichischen Verfassungsschutzes bei der Beobachtung und Bekämpfung rechter Umtriebe im Netz.

  

Herr Sailer, wann sind Sie das erste Mal in Ihrer beruflichen Laufbahn mit Neonazismus oder Rechtsextremismus in Berührung gekommen?

Uwe Sailer: Ich muss anfangs etwas richtig stellen: Mein Engagement gegen Neonazismus war immer privat. Ich habe nie beruflich, außer als computertechnischer Assistenzdienstleister in der Causa Bund freier Jugend [Jugendorganisation der rechtsextremen Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik, Anm. d. Red.] und da nur bedingt, mit Neonazismus oder Rechtsextremismus zu tun gehabt. Nur aufgrund meiner persönlichen Initiative verquickte sich mein Engagement zeitweise mit meinem Beruf als Kriminalbeamter. Der Kampf gegen den Neonazismus ist seit 2006, also als die sogenannte ´Datenantifa´ aktiv wurde, untrennbar mit Datenforensik und Internettechnologie verbunden.

Was genau ist Datenforensik?

Uwe Sailer: Datenforensik ist eine Kombination aus Computertechnologie, Kriminalistik und Rechtswissenschaft. Es handelt sich um forensische Untersuchungen, Analyse und Beweisführungen von elektronisch gespeicherten Daten. Bei den Untersuchungen werden die Analyseergebnisse mit allen anderen Erkenntnissen zusammengeführt.

Könnten Sie an einem Beispiel erläutern, wie Sie arbeiten?

Zum Beispiel mit digitalen Fallen, so genannten honey pots, die im Internet aufgebaut werden. Mit Hilfe einer derartigen ´Honigfalle´ sollen UserInnen angelockt und enttarnt werden. Sei es, dass diese TäterInnen sind, sei es, dass sie Mitglieder einer kriminellen Organisation sind oder sonstige Gründe bestehen, die sie für Untersuchungen interessant machen. Dabei sind im Bereich Rechtsextremismus die Erfahrungswerte von Marketingstrategien völlig ausreichend. Vor allem deshalb, da Neonazis erschreckend einfach gestrickt sind. Im Falle von social engineering bedeutet das, an der Botschaft anzusetzen und durch geschickte Kommunikation die Gesprächsebene so zu lenken, dass dahinterstehende Personen oder Netzwerke ausgehorcht und identifiziert werden können. Die wichtigste Schranke ist dabei, dass die freie Entscheidungsfindung einer Userin oder eines Users nicht beeinträchtigt wird oder es gar auf Anstiftung hinausläuft.

Welchen Stellenwert hat das Internet für rechtsextreme und neonazistische Netzwerke generell?

Das Internet stellt heute für rechtsextreme und neonazistische Netzwerke die Kommunikationsplattform dar. Die digitale Welt hat in diesem Bereich die Vorherrschaft übernommen: Was heute im Internet sichtbar ist, findet sich zeitverzögert in der realen Welt wieder. Die digital world des Internets ist heute die gefährlichste Waffe, militärisch, strategisch und universal einsetzbar. Rechtsextreme, neonazistische Netzwerke im Internet sind daher als brandgefährlich einzustufen.

In diesem Kontext eine Frage zu alpen-donau.info (ADI): Ist eindeutig geklärt, wie es dazu kam, dass die Webseite im März 2011 vom Netz genommen wurde?

Das BVT [Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, Anm. d. Red.] begann erst im Herbst 2010 wirklich ernsthaft zu ermitteln und dies nur deshalb, weil von Seiten der Antifa und der Zivilgesellschaft erheblicher Druck ausgeübt wurde. Zudem war in der Öffentlichkeit das Bild entstanden, der Verfassungsschutz stecke mit den Neonazis unter einer Decke. Was die Abschaltung betrifft, gibt es die Vermutung, dass die Betreiber die Serverkosten nicht mehr bestreiten konnten - ein Indiz hierfür ist, dass es kurz vor der Abschaltung noch zu einem Spendenaufruf kam. Auch das Gerücht, dass Gottfried Küssel bezahlter Informant war und womöglich das Geld zur Betreibung der Webseite nutzte, bestritt der Verfassungsschutz nie.

Wie ist die aktuelle Entwicklung von rechtsextremen Netzwerken im Web generell einzuschätzen? Wie etwa ist stolzundfrei.info einzuordnen, die als Nachfolgewebseite von alpen-donau.info gilt und Ende Mai dieses Jahres (2014) offline gegangen ist? Und wie schätzen Sie die seit Jänner 2014 existierende - laut Eigenbeschreibung russisch-österreichische-Webseite freies-oesterreich.net ein?

Aus der Abschaltung von ADI im April2011 ergab sich für österreichische Neonazis eine große Lücke. Man wartete also darauf, welche Gruppe, welcher Internetauftritt in die Fußstapfen von ADI treten wird. Am ehesten ist das stolzundfrei.info gelungen, diese erreichte ADI aber nie. Allein die Wortwahl war gemäßigter und so verdeckt, dass diese so gut wie nie die Grenzen des Rechts verletzte. stolzundfrei.info ging von Deutschland und später von Tschechien aus und hatte Verbindungen nach Wien, Liechtenstein und besonders nach Tirol. Zudem stand der Blog im Einflussbereich der Burschenschaft Arminia Graz. freies-österreich.net ist ebenfalls einer völkisch-nationalistischen Ideologie zuzuordnen; der gesamte Sprech ist burschenschaftlich geprägt. Die Seite wird eigenen Angaben zufolge aus St. Petersburg betrieben, stehe Österreich doch massiv im Einflussbereich anti-österreichischer Propaganda, brutaler amerikanischer Geheimdienste sowie inländerfeindlicher Gerichte, die mit dem Verbotsgesetz jeden freien Gedanken unterdrücken würden. Die Seite überschreitet in einzelnen Artikeln eindeutig die Grenzen des österreichischen Rechts - eine Anzeige gegen die BetreiberInnen ist in Planung. Bespielt wird sie von verschiedenen Autoren, die einer schlagenden österreichischen Burschenschaft entspringen und von Personen, die der Identitären Bewegung in Österreich nahestehen oder der AfP [Aktionsgemeinschaft für demokratische Politik, Anm.d.Red.] zuzurechnen sind. Außerdem macht Ludwig Reinthaler, der ´Braune aus Wels´, ausgiebig Werbung für diesen Blog in sozialen Medien und schreibt selbst Beiträge für den Blog.

Wenn man die Diskussion um das Verbot der NPD in Deutschland verfolgt, begegnet einem immer wieder das Argument, dass ein Verbot bedeuten würde, die Aktivitäten der Neonazis nicht mehr beobachten zu können. Wie bewerten Sie das aus Ihrer Perspektive?

Das Argument, ein Verbot der NPD würde bedeuten, man könne die Aktivitäten der Neonazis nicht mehr beobachten, kann ich nicht gelten lassen. Die Praxis zeigt, dass in der Regel derartige Gruppierungen nach behördlicher Auflösung relativ schnell zerfallen. Ein Verbot könnte aus meiner Sicht die Arbeit des Verfassungsschutzes sogar erleichtern, zumal bei Vorliegen entsprechender Gesetze oder Verordnungen auch mit Repression vorgegangen werden kann.

Wie hält es die Republik Ihres Erachtens mit der Bekämpfung und Beobachtung von Rechtsextremismus und Neonazismus? Im Zuge der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes von 2014 meinte der BVT-Leiter Peter Griedling bei Ö11, dass eine Gruppierung wie die Identitären nichts mehr mit NS-Ideologie zu tun habe. Kommt hier eine Fehleinschätzung oder Unterschätzung zum Ausdruck, die für die Wahrnehmung von Rechtsextremismus in Österreich symptomatisch ist?

Aus meiner Sicht ist die Republik ganz gut aufgestellt im Kampf gegen Rechtsextremismus und Neonazismus. Problematisch ist der Verfassungsschutz: Er verharmlost das Problem des Neonazismus. Der Rechtsextremismus erfährt durch den Verfassungsschutz und das ÖVP-geführte Innenministerium jedenfalls nicht jene adäquate Aufmerksamkeit, der es bedürfte. Mit Blick auf den Verfassungsschutz und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die österreichische Polizei der FPÖ-Politik im Sinne von law and order durchaus nahesteht. Dementsprechend ist der Verfassungsschutzbericht, die Visitenkarte des BVT, als un-interpretierbar zu bezeichnen: So erklärt sich auch die Erkenntnis, dass die Identitären keine Verbindung zu NS-Gedankengut hätten, was keinesfalls den Tatsachen entspricht.

Die Aktivitäten des Verfassungsschutzes im Kampf gegen den Rechtsextremismus wurden seit Schwarz-Blau mehr und mehr gedämpft, sodass ich mit März 2009 die lockere Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz beendete und sämtliches Computerequipment, welches ich über meine Firma datenforensik.at dem Verfassungsschutz kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, abzog. Der oberösterreichische Verfassungsschutz hat sich von diesem Schritt bis heute nicht erholt. Er wurde sowohl von der Computertechnik und von Informationen über rechtsextremistische Aktivitäten abgeschnitten.

Wäre ein eigenständiger Rechtsextremismus-Bericht notwendig? Gerade im Hinblick auf aktuelle Vorkommnisse - Stichwort Objekt 21, Schmierereien in Mauthausen - scheint sich ein solcher ja aufzudrängen..

Wichtig ist, dass wir einen ordentlich arbeitenden Verfassungsschutz in Österreich haben, der sich objektiv auch um rechtsextremistische Tendenzen kümmert - und zwar rechtzeitig. In Zeiten der offenen Kommunikation hat auch der Verfassungsschutz eine Verpflichtung zu übernehmen, die sich Transparenz nennt. In Österreich geriert sich dieser Dienst als Geheimdienstorganisation, vor allem auch deshalb, um das Nichtwissen in Belangen des Rechtsextremismus kaschieren zu können. Der Bericht muss nicht unbedingt Rechtsextremismus-Bericht heißen, aber rechtsextreme Vorfälle müssen klar und nicht verharmlosend in der Öffentlichkeit ausgewiesen werden. Öffentlichkeit gibt jeder Demokratie Schutz. Im Unterschied zum deutschen Verfassungsschutz unterhält der österreichische Verfassungsschutz nicht einmal eine eigene Webseite.

Welche Spuren gibt es im Internet in der Angelegenheit Objekt 21? Gibt es Hinweise im Netz auf die Schmierereien in Mauthausen?

Der Fall Objekt 21 stellt das größte Versagen des oberösterreichischen Verfassungsschutzes der letzten Jahre dar und übertrifft noch die Causa alpen-donau.info. Gerade Objekt 21 präsentierte sich offen im Internet, sodass diese Informationen wie reife Äpfel nur gepflückt werden hätten müssen. Hätte der Verfassungsschutz rechtzeitig reagiert, hätte es Objekt 21 nie gegeben, noch dazu wo von Anfang an bekannt war, wer der Mastermind und Betreiber hinter dem vorgetäuschten Kulturverein war und dieser auch wegen Taten nach dem Verbotsgesetz eine Haftstrafe ausgefasst hatte. Erst auf Betreiben der örtlichen Kripo wurde diese kriminelle Organisation zerschlagen. Es stellt sich schon die Frage, wozu wir einen Verfassungsschutz unterhalten, wenn die örtliche Polizei besser aufgestellt zu sein scheint. Jetzt stellt Objekt 21 im Internet keinen Diskussionsstoff mehr dar.

Was die Mauthausen-Schmierereien betrifft: Hierzu gibt es im Netz keine Hinweise. Das ist sehr merkwürdig und lässt zweifelsohne auf eine Täterschaft schließen, die zwar eingrenzbar, aber sehr schwer zu überführen ist. Solange diese nicht im Internet sichtbar wird, ist sie vergleichbar mit U-Booten, die keine Signale aussenden und daher nur verdammt schwer zu orten sind.

Wie schätzen Sie konkret die Arbeit in der Sicherheitsverwaltung ein? Der ehemalige Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit im BMI, Herbert Anderl, immerhin der ranghöchste Beamte der österreichischen Sicherheitsverwaltung, antwortete im April 2011 auf die Frage, wie aktiv die Neonaziszene in Österreich sei: „Die Neonaziszene ist nicht aktiv. Sie ist kein Bedrohungsfaktor für Österreich. Sie ist weder für den Staat noch für die Verfassung noch für die Gesellschaft eine Bedrohung“2. Wie stellt sich das derzeit dar?

Nur dank der Antifa und vor allem in den letzten Jahren durch eine sich vermehrt wehrende Zivilgesellschaft haben wir noch keine wirkliche Bedrohung für die Demokratie, jedoch ein breites, latent vorhandenes Gefahrenpotential. Die Grenze zu `Wehret den Anfängen!“ ist seit vielen Jahren überschritten. Die Überschreitung dieser Grenze wurde massiv von der FPÖ gefördert. Das greift tief in die österreichische Gesellschaft, vor allem in die Stammtischgesellschaft hinein. Der österreichische Sicherheitsapparat wurde an wichtigen Schnittstellen politisch ausgetauscht: Die FPÖ drängt insbesondere über ihre Vorfeldorganisation AUF in die Polizei und hält das Thema Sicherheit auch mit Erfindungen von Kriminalfällen überproportional stark am Köcheln.

Behördliche Ermittlungen gegen rechtsextreme und neonazistische Gruppen können nur auf gesetzlicher Grundlage erfolgen. Aus Ihrer Sicht in der Ermittlungsarbeit: Erachten Sie die aktuellen rechtlichen Instrumente als ausreichend?

Die rechtlichen Mittel sind mehr als ausreichend. Wenn man bedenkt, welche Erfolge die Antifa und die Zivilgesellschaft im Kampf gegen den Rechtsextremismus immer wieder einfährt, dann ergibt sich daraus die Erkenntnis, dass es der entsprechenden Motivation bedarf, um sich gegen Neonazis stark zu machen. Mittlerweile kann man fast sagen, dass Antifa und Zivilgesellschaft den Verfassungsschutz im Kampf gegen den Rechtsextremismus vor sich hertreiben und genau darauf achten, was der Verfassungsschutz unternimmt oder unterlässt. Die Welt ist dank Internet transparenter geworden, das muss auch der Verfassungsschutz endlich zur Kenntnis nehmen.

Her Sailer, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Interview führten Adina Seeger und Philipp Selim im Juni 2014

Der Vortrag von Uwe Sailer im Rahmen der Geh Denken!-Reihe ist online abrufbar unter: http://www.elisabethdoderer.com/?q=node/118.

Uwe Sailer, 1956 in Linz geboren, ist ausgebildeter Kriminalbeamter und Datenforensiker. Im Zuge der alpen-donau.info-Affäre wies er auf Ermittlungsversäumnisse der österreichischen Behörden hin. Nachdem er Verbindungen zwischen alpen-donau.info und FPÖ-Funktionären aufgezeigt hatte, folgte eine Anzeigenflut durch die Partei. Er wehrte sich erfolgreich gegen die rund 50-Anzeigen, wurde aber infolge der Anschuldigungen für achtzehn Monate vom Dienst suspendiert.

Für seinen Kampf gegen Rechtsextremismus wurde er 2011 mit dem Elfriede-Grünberg-Preis und 2013 mit dem Ute-Bock-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet.


Anmerkungen:

1http://oe1.orf.at/artikel/378683 vom 07.07.2014

2http://www.youtube.com/watch?v=VvwERbfpD8I (07.07.2014) Zeit im Bild 2-Interview vom 12.04.2011

http://www.gedenkdienst.at/