Mittwoch, 12. November 2014

Leserkommentar einer jüdischen Nachfahrin

Ich hoffe ich darf das hier einstellen, da ich eine "Beinahe-Zeitzeugin" bin. In den letzten Tagen wird wieder viel darüber geschrieben.

Meine Eltern waren Juden, lebten beide in Wien in einer so weit ich weiß, intakten Familie. Sie waren beide etwa 8 Jahre alt, als der Horror der Verfolgung richtig begann und etwa 13 Jahre alt, als man sie abholte - mitsamt den Eltern.

Die Eltern hat man umgebracht, die Kinder waren stark genug, um zu überleben, zu arbeiten für die Nazis - jeder mit seiner Möglichkeit.

Sie kamen von einem Tötungslager ins andere... bis zur Befreiung.

Da waren sie noch keine 20.

Sie lernten sich kennen und heirateten dann.

Wir waren zwei Kinder, die mit schwer traumatisierten Eltern zurande kommen mussten. Wir hatten nur sie. Keine Großeltern. Keine Tanten und Onkel. Niemand hat uns geholfen - wir waren alleine, kein "Kriseninterventions-Team", keine Therapeuten .. wir waren alleine, wir vier, im Nachkriegsleben.

Meine Eltern versuchten, uns zu schützen.: Sie ließen uns "taufen" - evangelisch, sie gaben uns vorübergehend in Kinderheime, wenn einer von ihnen wieder diese schweren Depressionen hatte... (was wir Kinder nicht verstehen konnten - wir waren erst 4 und 2 Jahre alt, als es das erste Mal geschah) ...wenn die Bilder wieder hoch kamen. Mein Vater, der gesehen hat, wie seine Mutter erschossen wurde, weil sie ihn - ihr Kind - schützen wollte.

Er starb, als er jünger war, als ich es heute bin. Er hatte einfach keine Kraft mehr. Meine Mutter folgte ihm bald.

Ich habe das hier geschrieben, weil mich das kalte Grauen überkommt, das pure Entsetzen, wenn ich lese, dass es schon wieder beginnt ... alles.

Und so lange ich lebe werde ich es bekämpfen. Ich bin es mir schuld, meinen toten Eltern, meiner toten großen Familie.

Ich werde daran erinnert tagtäglich - und sei es nur beim Arzt: Anamnese..hat jemand aus Ihrer Familie Diabetes gehabt?

Diabetes!

Ich weiss es nicht.

Susanne Fischer