Zwar ein Artikel aus dem Jahr 2011 und unserem Nachbarland, aber hier genauso gültig ...
Schafft das Wort Extremismus ab!
Die Regierung mag nicht ablassen von dem Dogma, Rechts- und Linksextreme seien das gleiche Problem unterschiedlicher Ausprägung. Das ist gefährlich. Kommentar VON CHRISTIAN BANGEL
Sollte man jemanden ablehnen, weil er linksextrem denkt? Kommt darauf an. Akzeptiert er Gewalt? Schwebt ihm eine autoritäre Führung vor? Dann ja. Oder besteht sein Linksextremismus darin, gesellschaftliche Güter – Geld, Bodenschätze, Arbeitskraft – radikal umverteilen zu wollen? Dann ist er vielleicht ein Dogmatiker, vielleicht ein Träumer. Jedenfalls ist er weder menschenverachtend noch gefährlich für andere.
Sollte man jemanden ablehnen, der rechtsextrem denkt? In jedem Fall. Neonazis (dis-)qualifizieren Menschen vor allem nach angeborenen Merkmalen: Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht. Deshalb ist ihre Weltsicht selbst dann menschenverachtend, wenn sie gewaltfrei auftreten.
Schon dieser Unterschied wäre Grund genug, Rechts- und Linksextremisten nicht in denselben Karton zu packen, wie es die Bundesregierung in einer Erklärung gerade wieder getan hat. Man kann aber auch die reinen Zahlen hernehmen – Neonazis sind nicht nur in der Theorie brutaler. Knapp 150 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit der Einheit zählten ZEIT ONLINE und der Tagesspiegel . Dem steht ein linksextremer Mord gegenüber – verübt von der mittlerweile aufgelösten RAF.
Schröders Linken-Feindseligkeit
Familienministerin Kristina Schröder (CDU) kämpft schon lange für die Gleichsetzung von rechts- und linksextrem, Neonazis scheint sie vor allem für überschätzt zu halten. Rassismus, prangerte sie vor einiger Zeit an, werde immer häufiger von Migranten gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft ausgeübt. Antisemitismus sei ein großes Problem der Linkspartei. Und Linksextremisten müsse man schon am Rand der SPD fürchten. Der sichtbarste Ausdruck dieser altherrenrechten Haltung war die von ihr eingeführte Extremismusklausel.
Initiativen gegen Rechtsextremismus müssen seit einiger Zeit ihre Kooperationspartner eine Unterschrift auf das Grundgesetz leisten lassen – obwohl zahlreiche Wissenschaftler und Initiativen in einem offenen Brief warnten, die Arbeit gegen Neonazis werde diskreditiert und gefährdet. Selbst das Familienministerium hat bei der Einführung der Klausel keinen Fall benennen können, in dem Verfassungsfeinde staatliche Gelder erhalten haben.
Dass der Kampf gegen die Neonazis auf diese Weise operativ geschwächt wird, ist noch das kleinere Problem. Viel schlimmer ist, dass Schröder in ihrer Partei keine Außenseiterin ist. Selbst Angela Merkel bekennt sich zur Totalitarismustheorie "Rechtsextrem gleich Linksextrem". Sie wird wissen, dass in dem Thema eine der letzten konservativen Überzeugungen verborgen liegt.
Man kann sich diese Denkschablone wie ein nach oben geöffnetes Hufeisen vorstellen: Unten die gemäßigte Mitte; an den Rändern, gleichweit von der Mitte entfernt, Rechts- und Linksextreme.
Quelle: http://www.zeit.de/politik/deutschland/2011-11/schroeder-extremismus-kommentar