Sonntag, 22. Februar 2015

Gastbeitrag - Interview mit einem "Jihadisten" - Dichtung und Wahrheit

"Exekutor ließ zwei IS-Dschihadisten auffliegen" titelte das Gratisblatt "heute" am 19.2.2015. Obwohl bereits am selben Tag die Geschichte als unwahr aufgeflogen war, legte Joachim Lielacher von "heute" am nächsten Tag nach und veröffentlichte unter dem Titel "60 Polizisten stürmten Dschihad-Wohnung" eine Story, die die Gebrüder Grimm vor Neid erblassen ließe. Von sichergestellten Fahnen (angeblich IS-Fahnen) war die Rede, von Suchtgift und gefundenen Waffen, ja sogar von Terrormaterial!

"heute" vom 19.2.2015


"heute" vom 20.2.2015

Grund genug für uns, dem angeblichen Jihadisten einen Besuch abzustatten, um uns selbst ein Bild zu machen.  

Khalil beim Interview

Khalil beim Interview

Also bitten wir Khalil (alle Namen wurden aus Sicherheitsgründen geändert) um einen Termin. Noch am selben Tag werden wir von einem freundlichen jungen Mann begrüßt. Die Wohnung ist ordentlich, sauber und gemütlich mit einem orientalischen Touch. Uns wird sofort Kaffee angeboten und unser Gespräch kann beginnen. Als Erstes bekommen wir die "Durchsuchungs-, Sicherstellungs- und Beschlagnahmebestätigung" zu sehen. Die Hausdurchsuchung erfolgte auf mündliche Anordnung der Staatsanwaltschaft. Auf dem zweiseitigen "Verzeichnis der sichergestellten Gegenstände" finden sich weder Fahnen noch Suchtmittel noch Waffen, lediglich zwei Laptops, drei Handys, ein Tablet, eine SIM-Karte, zwei USB-Sticks, eine Festplatte und "diverse chemische Substanzen, Eprovetten (sic!), Flüssigkeiten etc.". 







Die laut "heute" sichergestellte Fahne hängt nach wie vor an ihrem Platz!


Zu den chemischen Substanzen muss man anmerken, dass Khalil ausgebildeter Chemielabortechniker ist und die verdächtigen Substanzen sich auf einen Kosmos-Chemiebaukasten, wie er sich in vielen Kinderzimmern findet, und auf frei erhältliche Flüssigkeiten wie z.B. Salzsäure beschränken. Da er mit dem Gedanken spielt, Chemielehrer zu werden, benötigt er chemische Stoffe zu Vorführzwecken. Desweiteren wurde Khalil befragt, ob er Maschinengewehre besitzt. Er verneinte und selbstverständlich wurden auch keinerlei Waffen in der Wohnung gefunden.  

Khalil hatte am Tag zuvor von seinem Mitbewohner Patrick um ca. halb zwei einen Anruf bekommen. Dieser teilte ihm mit, dass die Polizei mit Spezialeinheiten wie WEGA und Diensthundestaffel die Wohnung gestürmt hätte. Ein Polizist fragte nach, wann er da sein könne. Khalil war also vereinbarungsgemäß eine halbe Stunde später in der Wohnung anwesend. Ungefähr 30 Polizisten befanden sich in der 63 m² großen Wohnung ("heute" schreibt von 60 Polizisten, die allerdings unmöglich in die Wohnung gepasst haben können) und stellten sie auf den Kopf. Die Diensthunde liefen ebenfalls durch Wohnung und über die Möbel. Seine beiden Mitbewohner wurden sechs Stunden lang festgehalten, mussten auf der Sitzbank bleiben und durften erst nach Stunden ein Glas Wasser trinken. Es wurde ihnen nicht erlaubt, sich Lebensmittel aus dem eigenen Kühlschrank zu holen, während sich die Beamten Pizza bestellten. Khalil wurde von seinen Mitbewohnern getrennt und in der Bundespolizeidirektion am Schottenring einvernommen. Die Beamten wollten seinen Pass sehen und fragten, ob er in der Türkei gewesen sei. Khalil konnte allerdings einen völlig jungfräulichen Pass vorzeigen. Er wurde nach den Chemikalien gefragt, ob er in der Lage und motiviert wäre, Sprengstoff zu "kochen". Khalil erklärte, dass die Chemikalien rein zu Vorführzwecken dienen und von den Substanzen keine Gefahr ausgeht.  

Im weiteren Verlauf machte Khalil die Beamten darauf aufmerksam, dass er psychisch labil sei, aber seit Jahren in Behandlung und medikamentös sehr gut eingestellt ist. Die Situation klärte sich sehr schnell auf und er wurde wegen § 175 StGB "Vorbereitung eines Verbrechens durch Kernenergie, ionisierende Strahlen oder Sprengmittel" auf freiem Fuß angezeigt. Von Suchtmittel und Waffen war niemals die Rede. Trotzdem schrieb Joachim Lielacher in "heute": "Die Spezialeinheit stellte Fahnen sicher (Anm. diese waren allerdings nicht bei den sichergestellten Gegenständen aufgelistet und hängen nach wie vor in der Wohnung), auch Suchtmittel und Waffen wurden gefunden" und beruft sich dabei auf den Polizeisprecher.  In den Presseaussendungen der Landespolizeidirektion findet sich allerdings keinerlei Meldung über den Fall.  

Wie Joachim Lielacher an den Namen und die Adresse von Khalil gekommen ist, erscheint uns ebenfalls hinterfragenswert. "heute" veröffentlichte nämlich ein Profilfoto von Khalils Facebook-Account sowie ein Bild seines Wohnhauses. Damit wird Khalil massiv gefährdet und ist für jeden, der das möchte, leicht auffindbar. Seine Nachbarn gehen ihm seither aus dem Weg und grüßen ihn nicht mehr, er wird ins soziale Aus gestellt. Khalil erklärt uns, dass im Islam nach der Familie die Nachbarschaft einen hohen Stellenwert hat, und er daher unter diesen Umständen leidet.  

Der Arbeitgeber seines anderen Mitbewohners wurde über den "heute"-Artikel auf die Geschichte aufmerksam. Er rief Ahmed an und teilte ihm mit, dass er heute nicht zur Arbeit kommen und am Montag zu einem Gespräch erscheinen solle. Ahmed fürchtet nun um seinen Arbeitsplatz. Er ist aus Kärnten nach Wien gekommen, ihm fehlen noch soziale Kontakte, die zu finden natürlich durch den "heute"-Artikel wesentlich erschwert wird. Ob er nach dem "heute"-Artikel noch große Job-Chancen hat, wagen wir zu bezweifeln. 

Khalil ist geborener Wiener, sein Vater ist Ägypter, seine Mutter Österreicherin. Er hat sich immer sozial eingebracht, Österreich ist seine Heimat. Er zeigt uns Bilder aus der Zeit, in der er bei der Landesschülervertretung Wien aktiv war. Besonders stolz ist er auf seine Fotos aus seiner Rapper-Zeit, auf seine Auftritte, auf seine Musik. Für einen Islamisten wäre so etwas völlig undenkbar. In seiner Wohnung finden sich auch ein Keyboard, eine Stereoanlage mit Boxen, CDs usw. Auch seine Baseballkappen-Sammlung an der Wand fällt uns auf. 

Weiter schreibt Lielacher von zwei säumigen Mietern, die zum wiederholten Mal die Türe nicht öffneten, als der Gerichtsvollzieher vor Ort war. Khalil erzählt uns, dass es sich nicht um einen Mietrückstand handelte, sondern um eine lächerliche Handy-Rechnung, die nicht einmal ihn betraf, und dass Ahmed beim ersten Klingeln die Tür geöffnet hat. Der Gerichtsvollzieher geriet in Panik, weil ihm eine Fahne mit arabischer Aufschrift ins Auge stach.  Die Aufschrift auf der Fahne ist nichts anderes als das islamische Glaubensbekenntnis, das da lautet "Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Mohammed der Gesandte Gottes ist.", was sich inhaltlich nicht wesentlich vom katholischen Glaubensbekenntnis unterscheidet. Die IS-Fahne unterscheidet sich durch den Zusatz "Für den islamischen Staat" und durch das Siegel des Propheten eindeutig von der Fahne in Khalils Wohnung. 


Bei einem Artikel, der vor Falschinformationen nur so strotzt und offensichtlich die Angst in der Bevölkerung vor der angeblichen Islamisierung und den angeblichen Jihadisten mitten unter uns schüren soll, fragt man sich natürlich nach den Beweggründen des Verfassers. Ein kurzer Blick auf seinen Facebook-Account zeigt, dass Lielacher offenbar eine Schwäche für von Ausländern begangene Verbrechen hat.



Screenshot / (C) Facebook Inc

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Screenshot / (C) Facebook Inc

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Auf seinem Twitter-Account finden sich auch interessante Menschen und Organisationen, denen Lielacher folgt: Harald Vilimsky (FPÖ), Christian Höbart (FPÖ), RFJ Österreich, Udo Landbauer (FPÖ, RFJ), Christian Hafenecker (FPÖ), Michael Schnedlitz (FPÖ), Markus Schnedlitz (FPÖ) und einige mehr. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! Welche Gemeinsamkeiten mit Lielacher könnten diese Personen aufweisen? Auffällig ist auch, dass ausgerechnet die FPÖ Hollabrunn mit Vorliebe Lielachers Artikel teilt.  

Eine Gesellschaft, in der Menschen mit anderer Sprache und Schrift automatisch als Terroristen gelten, muss sich die Frage stellen, wie es so weit kommen konnte! Und welche Partei in diesem Land erst den Boden dafür aufbereitet hat, sodass ein "aufgelöster Gerichtsvollzieher" beim Anblick einer Fahne mit arabischen Schriftzeichen einen Terroralarm auslöst, dessen Folgen jungen Menschen die Zukunft in ihrem Heimatland Österreich zerstören kann?

Text: Moni Österreicher
Bilder: John Sobek